Die letzte Reise der Schmetterlinge (Carlsen)

Juli 31, 2017

Japan gegen Ende der Edo-Zeit (1603-1868). In Nagasakis Freudenviertel Maruyama ist die Edel-Prostituierte (oder Kayu, was „Kurtisane“ bedeutet) Kicho der Star. Nur betuchte Freier können sie sich leisten. Kicho ist so beliebt und angesehen, weil sie auch mit schwierigen „Kunden“ klar kommt, indem sie nicht nur körperlich sondern auch geistig einfühlsam ist und ihre charmante Art stets richtig und angebracht zur Geltung bringt. Auf der künstlichen Insel Dejima, dem einzigen Ort Japans, wo direkter Handel mit den Europäern gestattet ist, besucht sie auch den niederländischen Arzt Dr. Thorn. Dieser behandelt zurzeit einen Patienten namens Gen, der an einem Hirnabszess erkrankt ist und mit dem Tod ringt. Gens Sohn Kenzo ist sehr an Medizin interessiert und Dr. Thorn möchte ihn als Arzt ausbilden. Aber die Familie ist verarmt, weshalb der Mediziner Gen gratis behandelt. Bald erkennt Dr. Thorn, dass zwischen Gen und Kicho eine Verbindung besteht, und tatsächlich: beide sind Geschwister. Sagt Kicho. Der junge Kenzo hegt dabei einen ganz eigenen Groll gegen Kicho. Und die, so wird bald klar, umgibt ein dunkles, wie tragisches Familiengeheimnis…

Nach „Stille Wasser“ und „Zwei Espresso“ ist „Die letzte Reise der Schmetterlinge“ das dritte Werk der japanischen Mangaka Kan Takahama, das bei Carlsen erscheint und ihr erster Band vor historischem Hintergrund. Auch wie in „Zwei Espresso“ treffen hier die europäische wie auch die japanische Kultur aufeinander. Kicho und Kenzo sind auf das Können des Arztes Dr. Thorn angewiesen, dessen moderne europäische Medizinkenntnisse der traditionellen Japanisch-Chinesischen Medizin vermeintlich überlegen sind. Dr. Thorn lebt wie alle Europäer auf der künstlich aufgeschütteten Insel Dejima (heute ein Stadtteil Nagasakis). Nur hier war direkter Handel (und entsprechend kultureller Austausch) zwischen Europa und Japan erlaubt und möglich. Ein Japan, in dem es noch starke nationalistische Bewegungen gab, weshalb Europäer außerhalb Dejimas auch nicht unbedingt gerne gesehen waren. Und umgekehrt für japanische Kayus der Besuch dort mit Risiken verbunden war.

Der Band erscheint im Rahmen des Graphic Novel Labels von Carlsen und entsprechend stehen Zeichnungen und Story nahe an der Tradition eines Jiro Taniguchi, was Realismus betrifft. Auch wie der jüngst viel zu früh verstorbene Meister-Mangaka beherrscht Takahama die stillen, melancholischen Momente und kleinen Gesten. Obwohl geschickt ineinander verwoben führt sie die Handlung durch ruhiges Fahrwasser, in dem sich die letztendlich tragische Geschichte, bei der Kicho im Mittelpunkt steht, in aller Ruhe entfalten kann. Die spielt ausschließlich in Maruyama und in Dejima und zeigt gleichzeitig ein Sittenbild der japanischen Gesellschaft, in dem die Europäer noch als Eindringlinge und Störenfriede betrachtet werden. Laut Nachwort Takahamas war Nagasakis Freudenviertel Maruyama weniger düster als sein Pendant Yoshiwara in Edo (Tokyo), das Fritz Lang 1927 für seinen Monumental-Stummfilm Metropolis „adaptierte“. Trotzdem galten dort feste und unnachgiebige Regeln. Wer sich als Kayu freikaufen wollte, brauchte viel Geld. Ansonsten war ein Leben im Freudenviertel vorherbestimmt. Einmal dort, immer dort. Das Ende scheint vorherbestimmt. (bw)

Die letzte Reise der Schmetterlinge
Text & Bilder: Kan Takahama
160 Seiten in Schwarz-Weiß mit Farbseiten,Taschenbuch
Carlsen Verlag
14,90 Euro

ISBN: 978-3-551-74418-0

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