Campbell ist ein ehemaliger Pirat, der verborgen mit seinen beiden Töchtern Genova und Itaca auf einem Baumhaus auf einer einsamen Karibikinsel lebt. Er übt seine Profession nur noch aus, um leben und seinen Töchtern etwas bieten zu können. Seine Opfer sind vorzugsweise ebenfalls Piraten – so luchst er Carapepino, der noch nicht lange „selbstständig“ ist, seinen Schatz ab, den der als Altersvorsorge gerade vergraben will. Dann erleben wir mit einer Auseinandersetzung zwischen Genova und Itaca einen typischen Streit unter Geschwistern, ehe der Bösewicht erstmals auftaucht und gleich in den Mittelpunkt rückt: Inferno, seit 30 Jahren berühmt-berüchtigte Piratenlegende und, wie bald klar wird, Campbells Bruder. Beide hassen sich aus tiefstem Herzen, und während Inferno mit den Engländern paktiert, müssen Campbell und seine Töchter ihr Heil in der Flucht suchen, nachdem ihr Versteck ausgerechnet von Carapepino gefunden wurde, der nun erneut in Diensten Infernos steht…
Klingt nach einem typischen Piraten-Abenteuer mit Errol Flynn. Ist aber doch ganz anders. Die Geschichte ist in einzelne, kurze Kapitel aufgeteilt, die nach und nach ein vollständigeres Bild ergeben. Und sie beinhaltet – ganz nach Art Munueras – viel Witz, originelle Einfälle und Humor, nicht ohne auch tragisch, melancholisch oder gar heftig zu werden. Denn es wird auch gestorben, auf rabiate oder makabre Weise, was den stilisierten Funny-Zeichnungen entgegenwirkt. Immerhin sind Piraten ja Schurken, auch wenn Campbell eine Art Samariter verkörpert, der nur seinesgleichen beraubt, eine Lepra-Kolonie unterstützt und in erster Linie seine Töchter beschützt. Was die Erzfeindschaft der beiden Brüder auslöste, wissen wir noch nicht zur Gänze, das werden die Folgebände – bei Dupuis sind bereits 5 Alben erschienen – sicher noch genau behandeln und klären. Wir erfahren noch, dass sich beide als Kinder in London als Diebe durchschlagen mussten und einen gewalttätigen Vater hatten. Die Episoden mit den Campbell Töchtern und auf der Lepra-Insel sorgen sogen dann angesichts des Bruder-Zwists für Abwechslung.
Natürlich dominieren die komischen Einfälle den Band und die Kapitel, in denen auch gängige Piratenklischees parodiert werden, wie etwa markante Landmarken, die zum Verstecken und Auffinden von Schätzen dienen (die Busenfelsen), schiffbrüchige Piraten, die zur Ablenkung als Haifutter dienen, oder die Aussätzigen auf ihrer einsamen Insel, die ausgerechnet Robinson Crusoe lesen und auch sonst für diverse Kuriositäten sorgen. Jose Luis Munuera nimmt hier stilsicher das Genre aufs Korn, wie wir das jüngst auch bei seinem Spirou-Ableger um Zyklotrop sehen konnten, der ebenso humorvoll und sich seiner Historie bewusst ausgestaltet wurde. Während Munuera seinen Campbell – einen Vornamen (oder Nachnamen?) hat er noch nicht – als tapferen und edlen Seeräuber platziert, lässt er dessen Antagonisten mit dem passenden Namen auch gesellschaftlich immer mächtiger werden. Inferno wird zum Baron ernannt und will künftig (außer seinem Bruder) nur noch Franzosen töten. Und Carapepino schwätzt zwar immer altklug, bleibt aber der ewig dämliche und sich stets selbst überschätzende Piraten-Dilettant. Fazit: Erzählt trotz der witzigen Einfälle eine ernste Geschichte. Beides macht Laune und Lust auf mehr/Meer. (bw)
Die Campbells, Band 1: Inferno
Text & Bilder: Jose Luis Munuera
56 Seiten, Softcover
Carlsen Verlag
12 Euro
ISBN: 978-3-551-75502-5