Geburtstagsfeiern sind ja immer etwas Schönes – und wenn dann auch noch die wohl bekannteste Zeichentrick- und Comicfigur der Welt einen „Runden“ begeht, dann ist das natürlich eine ganz besondere Angelegenheit. Vor sage und schreibe 90 Jahren erschien mit „Steamboat Willie“ der erste Streifen, in dem eine Maus in kurzen Hosen und runden Ohren als Micky von sich reden machte und sich anschickte, die Welt im Sturm zu erobern. In den folgenden Dekaden erlangte Walt Disneys Kreation Kultstatus als moderne Ikone der populären Kultur, die sich ins öffentliche Bewusstsein eingebrannt hat und in unterschiedlichsten Inkarnationen, vom Draufgänger der frühen Abenteuer über den Zauberlehrling in „Fantasia“, den klugen Detektiv Herrn Maus und den umtriebigen Reporter bis hin zur vielschichtigen Figur der Neuzeit, zum festen Bestandteil nahezu jeder Sozialisierung gehören dürfte. Die deutsche Heimstatt des Mäuserichs, Egmont Ehapa Media, bringt zur Feier des Tages gleich diverse Sonderausgaben unters Volk: neben einem Micky-Maus-Magazin widmet sich u.a. auch das Lustige Taschenbuch 513 ganz dem Thema „Happy Birthday“ und bietet dafür verschiedene Stories, in der sich Mickys Freunde und Feinde die Klinke in die Hand geben und gerne auch mal ein Griff in die Vergangenheit gewagt wird.
So etwa schlittern Micky und Donald in eine „Geburtstagsparty mit Hindernissen“, als sich ein geheimnisvoller Fremder bei Donald meldet, um die heilige Statue der Tuhmpehtrotl wieder zu organisieren, die die beiden bei einem früheren Abenteuer als Souvenir mitbrachten. Bald stellt sich heraus, dass hinter der fröhlichen Schnitzeljagd im südamerikanischen Dschungel niemand anders steht als das Schwarze Phantom, das das Zepter der allumfassenden Macht an sich reißen will… Im Zweiteiler „Ruf aus der Vergangenheit“ reist Micky per Zeitmaschine zurück ins Jahr 1928, wo er gemeinsam mit seinem früheren Ich, Minnie und auch Goofy auf seinen alten Feind Kater Karlo losgeht, der genau das in der Gegenwart des Jahres 2018 verhindern will, indem er Minnie entführt und bedroht… Am spektakulärsten geht es dann in „Mausopolis“ zu: als Erbe eines gewaltigen Industrieimperiums muss Micky feststellen, dass der Verwalter Karlersen ihm die brisante Wahrheit verschweigt. Unter der Erde schuften nämlich namenlose Arbeiterhorden, die einer Heilsbringerin namens Minnie folgen. Als Micky sich allzu sehr für die Arbeiter engagiert, hetzt Karlersen den bösen Erfinder Schwarzwang auf, eine Maschinenkopie von Minnie zu schaffen und die Arbeiter dazu zur Revolution zu verführen…
In durchaus geschickter und kenntnisreicher Manier bedienen sich die Autorenteams, darunter Pat und Carol McGreal, Casty und Francesco Artibani, für ihre Hommage an die Micky-Historie verschiedenster populärer Vorlagen: so etwa durchleben Micky und Donald in guter alter Carl Barks-Manier ein astreines Indiana Jones-Szenario, komplett mit Geheimfallen und Artefakten, während die Zeitreise-Story im wunderbaren Kontext eines Terminator und anderer Zeitparadoxon-Verwirrspiele steht, in denen man durch einen Griff in die Geschichte versucht, die Gegenwart zu beeinflussen. Dabei kontrastiert die moderne Ausführung von Micky mit Anzug wunderbar mit der Urfassung, als die Maus mit Steckerlfüssen und roter Kurzhose durch die Gegend marschierte und durchaus forsch auftrat.
Sehr beeindruckend dann die Verneigung vor Fritz Langs epochalem Antiutopie-Drama „Metropolis“, das 1927 und somit nur ein Jahr vor Micky das Licht der Welt erblickte. In sehr genauer Anlehnung an Langs legendäres Werk erzählt Artibani die Geschichte der Ober- und Unterwelt, des rebellierenden Freder (Micky), der namenlosen Arbeiter (22422, hier in Gestalt Goofys), des Vaters Fredersen (in diese Rolle schlüpft hier Kater Karlo) und des Mad Scientist (Rotwang, der hier zu Schwarzwang wird, aber definitiv die gleiche wirre Frisur hat), wobei diverse Schlüsselszenen des Films auch optisch nachgeformt werden: da tut 22422 an einem riesigen Zifferblatt Dienst, wie dies schon sein Filmvorgänger mysteriöserweise über sich ergehen lassen musste (wobei eine kleine satirische Spitze nicht fehlen darf – als Micky fragt, wozu denn das gut sei, antwortet der Arbeiter nur „Keinen Dunst! Ich bin nur der Kuli vom Polier!“), die Moloch-Maschine fliegt in die Luft, diverse choreographierte Massen durchströmen die Bilder, das Finale findet hoch auf einer Kathedrale statt, und in zahlreichen Momenten wirkt die Heilskünderin Minnie wie ein flackerndes Zelluloid-Bild. Auch in Mausopolis gilt am Ende das (oft als naiv und reaktionär geschmähte) Motto Langs: „So ist das mit Verstand und Hand. Das Herz muss sie verbinden“. Somit liefert vor allem diese Geschichte einen durchdachten, beeindruckenden Beitrag zur Geburtstagsparty, die wir doch gerne mitfeiern. Dann mal auf die nächsten 90 Jahre! (hb)
Lustiges Taschenbuch, Band 513: 90 Jahre Micky
Texter & Zeichner: Francesco Artibani, Casty, Pat und Carol McGreal u.a.
256 Seiten in Farbe, Softcover
Egmont Ehapa Verlag
6,50 Euro