Rache ist süss. Und das zentrale Leitmotiv dieser Serie, in der Vielschreiber und Troy-Erfinder Christophe Arleston einmal mehr seine typischen Zutaten zu einem unterhaltsamen Fantasy-Mix verwebt. In Band 1 töteten Piraten die Familie der jungen Sangre und verschleppten ihre Mutter. Seitdem sinnt das Mädchen, inzwischen zur jungen Frau geworden, nach Vergeltung. Hilfreich ist ihr dabei eine besondere Gabe: sie kann kurzfristig die Zeit anhalten und das „Mal der Finsternis“ an ihrer Hüfte, das langsam wächst und ihr offenbar Kraft verleiht, scheint auch seinen Teil beizutragen. Von den acht Mördern, die damals an der blutigen Tat beteiligt waren, musste zuerst der Ligat Achron dran glauben. Der verriet Sangre auch den zweiten Schurken: Fesolggio, genannt der Unerbittliche. Dafür reist Sangre mittels Portal-Knotenpunkt in die Stadt Nivesk auf der Welt Tarask.
Dort lebt man gefährlich, wenn man nicht künstlerisch veranlagt ist. Denn die Kunst schützt die Menschen vor den Fluxen – Geisterdämonen, die sich abends materialisieren und angreifen, wenn das Schutzschild der Kunst nicht vorhanden ist, so wie Knoblauch vor Vampiren schützt. Und Fesolggio, erfahren wir in einer Rückblende, ist Maler – ein echter Casanova obendrein und der größte Künstler von allen. Gewesen. Denn als Sangre ihn findet, steht sie einem menschlichen Wrack gegenüber, von Alkoholsucht gezeichnet und künstlerisch am Ende. Also leichtes (Rache-)Spiel für Sangre? Im Prinzip schon. Aber dann doch zu leicht. Als sich Fesolggio ertränken will, rettet Sangre ihn. Sie will seine Gesundheit, sein Können und damit seine Reputation wieder herstellen und ihn dann, wenn er wieder im Zenith seines Ruhms steht, genüsslich vernichten. Ihr Plan scheint aufzugehen. Fesolggio blüht erneut auf und wird wieder en vogue. Doch dann scheint Sangre einen verhängnisvollen Fehler zu machen…
Das Konzept der Serie hat Anthologie-Charakter: jedes Album spielt auf einer anderen Welt (das vermuten wir mal – als nächstes ist eine Schnee- und Eis-Welt dran). Die Antagonisten wechseln damit auch von Band zu Band, bis alle, die bei der Ermordung von Sangres Vater und Bruder und bei der Entführung ihrer Mutter beteiligt waren, ihr Fett abbekommen werden. Die Konstanten bleiben dabei Sangre als Hauptperson (auch die Nebencharaktere werden – bis jetzt zumindest – durchgewechselt) und das sie treibende Rachemotiv. Der Vorteil: jeder Band ist auf eine gewisse Weise abgeschlossen und der Wechsel der Locations sorgt für Kurzweile. Dazu kommt hier die originelle Idee, dass die Kunst das Dasein auf Tarask nicht nur bestimmt, sondern überlebenswichtig ist. Die Fluxe stellt Zeichner Adrien Floch als abstrakt gezackte, körperlose Schatten dar, als Nachtmahre, die gerade deshalb bedrohlich und allgegenwärtig wirken.
Das Design der Stadt Nivesk und die Mode der Menschen erinnert ein ums andere Mal an das barocke Venedig. Man trägt prächtige Kleider, lebt in hohen Palästen und gondelt durch romantische Kanäle. Fast möchte man meinen, dass Giacomo C. jeden Moment um die nächste Ecke biegt. Und warum sich Fesolggio vor Jahren einer marodierenden Piratenbande anschloss, kommt schließlich auch zur Sprache, wobei hier ein unglaubwürdiger Beigeschmack zurück bleibt. Flochs Bilder – im typisch semi-realistischen Stil gehalten mit Protagonisten, die optisch an Figuren von Moebius erinnern – kennt man von seinem anderen Serien-Dauerbrenner „Die Schiffsbrüchigen von Ythaq“. Auch hier liefert er solide, elegante Arbeit ab und lässt sich erneut von Fred Blanchard und Kolorist Claude Guth unterstützen. Böse Zungen könnten jetzt behaupten, dass Arleston wieder einmal nur seine eigenen Werke kopiert oder variiert, aber solange dabei solch angenehmer und unterhaltsamer Lesestoff produziert wird, mag das völlig in Ordnung sein. (bw)
Sangre, Band 2: Fesolggio, der Unerbittliche
Text: Christophe Arleston
Bilder: Adrien Floch
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
14,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-515-2