Soviel wissen wir bereits: die Mannen um Meisterdieb James Finnigan und Vampirjägerin Rosalynd Sledge planen den ganz großen Coup: den Raub des Silberdrachens, eines sagenhaften Schatzes, der im Schloss Draculas verborgen ist. Nun, wir schreiben Anfang 1931, geht die Geschichte weiter. Der Plan führt die Gruppe über Zürich nach Budapest, wo man einen Zug besteigt, der Richtung Transsylvanien fährt. Und der regelrecht Vampir-verseucht ist. Mit Hilfe des Schauspielers Hamilton Morley täuscht man alten Vampir-Adel vor und verschafft sich so Zugang zum innersten Zirkel der Clans. Aber unter den blutsaugenden Herrschaften herrscht Zwist: für den Herrscher Drah-Khann (=Dracula, man ist ja mongolischer Abstammung) soll eine Frau gefunden werden. Doch die gleichermaßen mächtige, skrupellose und kämpferische Lillian schießt quer – beinahe wortwörtlich – indem sie ihren kompletten Vampirclan samt der potentiellen Braut-Kandidatin (ihre Schwester, nebenbei bemerkt) eben mal so auslöscht. Im gewaltigen Schloss Draculas angekommen, positionieren sich Finnigan, Morley und die übrige Truppe nach und nach mit List und Tücke, um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen…
Wie der zweifellos gewagte Plan im Einzelnen ausschaut, wissen wir noch nicht. Einstweilen sind Finnigan und seine Leute (darunter ein Junge mit hellseherischer Gabe) in der Höhle des Löwen, auf dünnem Eis. Als Vampire getarnt werden sie Zeugen der furiosen Auftritte Lillians. Wie auch im Erstling präsentiert Stephan Franck hier eine wunderbare Mischung aus Genre-Versatzstücken, die man aus Thriller, Krimi oder dem Phantastischen kennt. Die Zugfahrt, in der man mit Gaunerkunststückchen und falschen Masken hantiert. Das Gemetzel, das Lillian dort verübt. Dann das erhabene larger-than-life Schloss Draculas. Dort der wilde Kostümauflauf – pünklich um Mitternacht – beinahe schon ein Tanz der Vampire. Dazu ein geheimnisvoller Herrscher auf Brautschau, einen Abstecher in Gladiatorenkämpfe und Monstrositäten. Dann greift wieder das Rififi und Ocean‘s 11-13 Motiv: ein mit Sicherheit clever ausbaldowerter Plan, der mit diversen Unwägbarkeiten und Überraschungen zu kämpfen haben wird. Und das Gute daran: die wilde Mischung, auf der stets das Flair des Phantastischen, des Bedrohlichen liegt, funktioniert, ist spannend und auch zeichnerisch abwechslungsreich inszeniert und unterhält – auch mit einer Prise Sarkasmus gewürzt – bestens. Was auch an den starken wie skurrilen Charakteren auf beiden Seiten liegt.
Und natürlich an ungewöhnlichen Zeichnungen. Die vereinen in ihrem tiefen Schwarz die Schroffheit und Abstraktheit eines Mike Mignola und die Eleganz eines Tim Sale in sich. Gepaart mit expressionistischen Schattenspielen, die an Deutsche Stummfilme gemahnen, samt filmischen Perspektiven und intelligenter Ausleuchtung. Das reicht von schnellen Schnitten bei Kampfszenen (bei denen diesmal nicht Rosalynd, sondern Lillian im Mittelpunkt steht) bis zu aufeinanderfolgenden ganzseitigen Panels, beispielsweise als die Handlung in das gigantische Schloss Draculas wechselt: lange Treppen, hohe Gänge, riesige Statuen (ähnlich der Festungen in „Herr der Ringe“) und davor die endlose, stumme Schlange der Vampir-Besucher, die übergeht in das ausschweifende Fest der Untoten, was in einer Doppelseite kumuliert und nicht minder bedrohlich wirkt. Wobei das Bild der Pferdekutschen im Schnee vor dunklem Gemäuer einmal mehr schaurig schön an Murnaus „Nosferatu“ erinnert. Natürlich will man wissen, wie es weiter geht, ob und wie der Plan funktioniert. Und natürlich wird es böse Überraschungen geben: Band 3, „Das Lied vom Blut“, ist in Vorbereitung. Wie auch beim Erstling rundet ein kleiner Einblick in die Arbeitsweise Stephan Francks den Band ab. (bw)
Silver, Band 2: Orient Express
Text & Bilder: Stephan Franck
116 Seiten in Schwarz-Weiß, Softcover
Verlag Schreiber & Leser
14,95 Euro
ISBN: 978-3-946337-22-5