Nimona (Splitter)

November 26, 2016

Nimona (Splitter)

Ballister Blackheart staunt nicht schlecht, als urplötzlich eine kleine, freche Göre in seinem Schurkenlager auftaucht. Vorwitzig stellt sich die kleine Nimona als sein neuer Sidekick vor – und jeder Protest scheint vergebens, so überzeugend geht die junge Dame vor. Schlagendes Argument: sie ist eine Gestaltwandlerin – und so eine Waffe kann Ballister nun tatsächlich nicht ausschlagen. Flugs geht es an die Planung der ersten Missetaten, wobei sich Nimona als durchaus rabiat entpuppt: beim Einbruch in eine Forschungseinrichtung des Instituts für Strafverfolgung und Heldentum kommt ihnen erwartungsgemäß der strahlende blonde Held Ambrosius Goldenloin ins Gehege, einst Ballisters Gefährte in der Heldenschule, nach einer üblen Attacke in Folge eines verlorenen Duells jetzt Ballisters Erzfeind. Gegen dessen Gefolge setzt sich Nimona in Form eines Wolfs so zur Wehr, dass einige Soldaten das Zeitliche segnen. So heftig eskaliert die Auseinandersetzung, dass die ganze Einrichtung in die Luft fliegt und weitere Insassen zu Tode kommen. Das ficht Nimona nicht an und schockiert Ballister, der eigentlich immer von Morden absieht und im Gespräch durchaus dunkle Seiten an seiner kleinen Mitstreiterin entdeckt: eigentlich wollte sie ihr Dorf retten, das permanent von Räubern überfallen wurde, und ließ sich zu diesem Zweck von einer Hexe in einen Drachen verwandeln.

Viel zu spät beherrschte sie auch die Rückverwandlung und konnte so nur noch ihr abgebranntes Dorf und Leichen ihrer Eltern vorfinden. Offenbar geplagt von Erinnerungen, reagiert Nimona auch äußerst allergisch auf jeden Versuch Ballisters, ihre Kräfte weiter zu erforschen. Stattdessen nimmt man eine brisante Spur auf: in geheimen Unterlagen aus der zerstörten Forschungseinrichtung entdeckt Ballister Hinweise darauf, dass das vorgeblich so aufrichtige Institut für Strafverfolgung und Heldentum beträchtliche Mengen an Jadewurzel hortet, einer eigentlich verbotenen Pflanze, die zu allerlei schwarzer Magie dient und offenkundig die Nahrungsvorräte des ganzen Reichs vergiften soll. Um diese finsteren Absichten zu beweisen, verbreiten Blackheart und sein Sidekick eine harmlose, aber spürbare Krankheit unter der Bevölkerung, räumen öffentlichkeitswirksam eine Bank aus und kapern einen Fernsehsender, um das Institut mit seinen Machenschaften zu konfrontieren. Prompt beauftragt die Chefin des Instituts Ballisters ehemaligen Freund Goldenloin damit, die Gestaltwandlerin zu töten, die eine Gefahr für die gepflegte, absichtlich herbeigeführte Ordnung – hier der strahlende Held, dort der Schurke – darstellt. Da erwacht plötzlich auch Goldenloins Argwohn, und anstelle den Auftrag auszuführen, sucht er Kontakt mit Blackheart – denn vielleicht ist ja nicht der vorgebliche Schurke, sondern das System, genauer gesagt das Institut, der wahre Feind…

Nimona liefert ein in jeder Hinsicht modernes Animationserlebnis: die cosplay-begeisterte Noelle Stevenson startete das Projekt zunächst als reines Online-Comic in einzelnen Episoden, das erweitert auch als ihre Abschlussarbeit für die Uni herhalten musste, bevor dann 2015 eine gedruckte Version als Graphic Novel erschien. Was in erst kurzen, dann längeren Kapiteln mit einer bewusst starken Mädchenfigur wie eine humoristische Persiflage auf sämtliche Superhelden-Konstellationen beginnt und dabei die Vorzeichen leicht umkehrt – nicht der Held, sondern der Schurke als „Mad Scientist“ hat hier einen jugendlichen, vorlauten Helfer –, entwickelt sich dabei allmählich zur durchaus komplexen Studie über Freundschaft, Illusion und Moral. Die anfänglich märchenhafte Stimmung weicht schnell der Erkenntnis, dass die Figuren hier in einem waschechten Überwachungsstaat leben, in dem à la Storm und Trigan höchst anachronistisch mittelalterliche Elemente wie Ritter, Turniere, Drachen und Magie mit Science Fiction-Hochtechnologie und durchgängiger Vernetzung in trauter Eintracht existieren. Die Chefin des Instituts erscheint dabei als finsterer Big Brother, der alles und jeden beobachtet und ganz bewusst Schurken gegen Helden platziert, die beide letztendlich nur Marionetten in den größeren Plänen sind.

Dabei enthüllt sich nach und nach die psychologische Motivaton der Figuren, allen voran Nimona, bei der sich schnell erhebliche emotionale Verletzungen zeigen, die den komödienhaften Rahmen inhaltlich bei weitem übersteigen. Kleinere spaßige Elemente lockern dabei das Geschehen auf, etwa als Blackheart und sein Schützling sich gemeinsam einen Zombie-Film ansehen, Nimona als Wildschwein eine Hochsicherheitstür einfach auframmt oder Goldenloins affektierte Rüstung genüsslich kommentiert wird. Der Zeichenstil ist dabei reduziert, stilisiert und eher auf fast schon Animations-Cartoon-Ebene gezogen, und gerade dadurch eröffnen sich die inhaltlichen Tiefen und existentiellen Fragestellungen umso plakativer – der äußere, lustige Schein trügt ganz bewusst und wird selbst zum Stilmittel, in dem sich die scheinbar „heile Welt“ spiegelt. Nach der US-Veröffentlichung 2015 startet Splitter mit Nimona (neben Zeps neuester Cartoon-Sammlung „It’s A Wonderful World“ – dazu hier demnächst mehr) die neue Reihe Minisplitt, in der Titel in Softcover in kleinerem Format erscheinen werden. Nachdem sich 20th Century Fox bereits die Filmrechte gesichert hat, darf man demnächst wohl mit einer Kinofassung rechnen – wir hoffen, dass die Abgründe dabei nicht verloren gehen. (hb)

Nimona
Text & Bilder: Noelle Stevenson
272 Seiten in Farbe, Softcover
Minisplitt/Splitter Verlag
19,95 Euro

ISBN: 978-3-95839-960-0

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