Amazonien kommt nicht zur Ruhe. Eben noch hat Wonder Woman den hinterhältig angezettelten Bürgerkrieg auf der Paradiesinsel beigelegt und die aufmüpfige, durch finstere Magie hergestellte Amazone Donna Troy auf dem Olymp eingesperrt, damit die über ihre Untaten nachsinnen kann, während die ebenso an dem Aufstand beteiligten Schwestern beim Schmied Hephaistos Dienst tun müssen. Statt ihre Verantwortung zu übernehmen, ergeht sich Donna allerdings bevorzugterweise in Selbstmitleid und sieht sich als Monster. Diana hingegen blickt nach vorne und lässt sich von Hephaistos als Zeichen ihrer neuen Berufung als Königin und Kriegsgöttin neu einkleiden – anstelle von Korsage und Sternenhöschen gibt es eine massive Rüstung, die sich gewaschen hat. So ausgestattet, begibt sich Diana auf die Erde, wo sie ein Notruf erreicht: ein verwirrter junger Mann fordert, sie treffen zu dürfen, ansonsten will er eine Bombe hochgehen lassen. Als Wonder Woman zu diesem Rendezvous auftaucht, stellt sich das Ganze natürlich als Falle heraus: der angebliche Fanboy ist Ägeus, geboren aus einer langen Linie von menschlichen Götterabkömmlingen, dem seine Mutter im Sterben eine Münze der Ur-Ur-Ur-Opas Poseidon und Ägeus übergibt.
Mit Hilfe dieses Schatzes ist es Ägeus gelungen, eine finstere Macht zu aktivieren, die ihn dabei leitet, endlich ein richtiger Gott zu werden. Nach der ersten Konfrontation mit Wonder Woman, die noch unentschieden ausgeht, übergibt ihm eine unbekannte Figur einen goldenen Pfeil und Bogen, mit dem er die frisch gebackene Kriegsgöttin töten soll, um ihren Platz einzunehmen. Dazu bekommt Ägeus noch ein geflügeltes Pferd, mit dem er fortan Jagd auf Diana macht, die sich in London aufhält und sich dort eigentlich ein wenig erholen wollte. Aber es kommt noch heftiger: weil sie das Gejammer von Donna nicht mehr hören kann, wirft Dianas hinterlistige Schwester Strife (gerne mal überlebensgroß) der Gefangenen den Schlüssel in den Käfig – wenn sie schon so ein Ungeheuer ist, dann soll sie wenigstens konsequent sein und ihre Existenz beenden. Dazu soll sie einfach die Moiren aufsuchen, die den Schicksalsfaden spinnen und eben auch kappen können. Und die sind nirgends anders zu finden als in London, wohin Donna sich in der Tat aufmacht – und damit den Weg von Wonder Woman kreuzt, die sich die Attacken von Ägeus nur noch mit Mühe vom Hals halten kann. Als sich dann der finstere Drahtzieher endlich enthüllt, wird klar, dass es bei der ganzen Intrige nicht um Macht oder verletzte Eitelkeit geht, sondern um Wohl und Wehe der Welt und des Olymps obendrein…
Die Finchs liefern wieder, und zwar ganz gewaltig. Gewohnt furios inszeniert, mit dynamischen, überbordenden Bildfolgen, optischen Glanzlichtern und gewaltigen Set Pieces, steigert sich eine einfache Rätsel- und Verfolgungsgeschichte – Wonder Woman tritt Ägeus zunehmend in den Hintern, aber wer steckt in Wahrheit hinter der ganzen Chose? – hin zu einem zutiefst philosophischen Diskurs über Krieg und Frieden, in dem existentielle Fragen angerührt werden: kann es ohne Krieg einen echten Frieden überhaupt geben? Sind Konflikt und Aggression nötig, um gegen Not und Elend aufzustehen? Oder wäre auch eine komplett friedfertige Welt vorstellbar – und wünschenswert? Oder wäre das nur der Weg in die Diktatur der Starken über die Schwachen? Höchst tiefschürfende Fragestellungen also, die weit über die Geschichte hinausweisen in unsere aktuelle politische Realität und die Menschheitshistorie schlechthin. Und die Rüstung ist ein echter Hingucker. Wie alle Damen. Aber das sind wir bei David Finch ja gewohnt. Gegen dessen schiere Bildmacht fallen die von Ian Churchill und Miguel Mendonca inszenierten Episoden sichtlich ab, und die letzte Beigabe mit der Leopardenfrau Cheetah, die nach der Storyline „Götterzorn“ noch eine abgeschlossene Geschichte bringt, liegt auch inhaltlich um einige Stufen einfacher. Aber sei’s drum, in der Hauptsache haben wir hier erneut einen fantastischen, atemlosen Beitrag zu einer Wunderfrau, die moderner, philosophischer und attraktiver nicht sein könnte. Wunderbar!
Der vorliegende Band enthält die US-Ausgaben Wonder Woman 41-47 von August 2015 bis Februar 2016, komplett mit schöner Variant-Cover-Galerie und einigen Gedanken David Finchs zum neuen Kostüm, das auf Drängen seiner Frau Meredith entstand. Da sag nochmal einer, Mann und Frau können nicht zusammen. (hb)
Wonder Woman – Göttin des Krieges, Band 2: Götterzorn
Text: Meredith Finch
Bilder: David Finch, Ian Churchill, Miguel Mendonca
172 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
16,99 Euro
ISBN: 978-3-95798-738-9