Tag X, Band 2 (Panini)

November 4, 2015

Tag X, Band 2 (Panini)

Verdrehte Welt, die zweite. Konzentrierte sich der erste Band der neuen Panini Albenreihe mit Ereignissen aus einer alternativen Geschichtsschreibung in erster Linie auf die Variation des Kennedy-Attentats (das in dieser Zeitlinie Nixon galt), vermittelt uns Band 2, der die Familie Kennedy zum Thema hat, neben der Story ein völlig neues, durchaus komplexes alternatives Weltbild, dessen ‚Eckdaten‘ zum weiteren Verständnis zuerst genannt werden sollen: wir sind im Jahre 1947. Vor 200 Jahren haben die Franzosen den Krieg gegen die Engländer gewonnen und beherrschen nun weite Teile Nordamerikas, die Neufrankreich heißen. Nur im Norden gibt es einen englisch-amerikanischen Staat namens Neuengland, während Florida wiederum zu Spanien gehört. Neufrankreichs Hauptstadt heißt New Orleans – dort steht dann auch konsequenterweise keine Freiheitsstatue sondern eine riesige Marianne (siehe Cover). Sklaverei ist an der Tagesordnung und wird banalisiert als Vertragsarbeit bezeichnet. In Neuengland dagegen sind Sklaverei ab- und Prohibition angeschafft. Und drüben, im fernen Europa, herrscht ein gewisser Herr Hitler über Deutschland, der die Schmach des verlorenen Krieges von 1923 tilgen will…

Vor diesem alternativ-geschichtlichen Hintergrund findet die eigentliche Handlung statt. Joseph Kennedy will Präsident von Neuengland werden. Er wurde reich (an Geld und Einfluss) durch illegalen Alkoholschmuggel, mit dem er Al Capone, Bugsy Siegel und Konsorten bedient. Kennedys Söhne Joe und Jack (=JFK) sind beim Schmuggel seine rechte Hand. Ihr Gegner ist der radikale Charles Lindbergh (ja, genau der), der ebenfalls Präsident werden will und mit den Ideen Hitlers sympathisiert. Lindbergh bekämpft mit seinen Schlägern die illegalen Aktivitäten der Kennedys wo es nur geht und zerstört so eine komplette Schnapslieferung, die die Kennedys dringend benötigen. So beschließen die Kennedy-Söhne selbst nach New Orleans zu fahren, um dort von ihrem Händler eine neue Ladung zu holen. Da sich Neuengland und Neufrankreich nicht gerade grün sind, ist dies ein durchaus heikles Unterfangen. Das noch gefährlicher wird, als sich die Brüder den Zorn des brutalen Polizeichefs Laframboise zuziehen, der ihnen einen Mord an zwei Schwarzen anhängen will. So wird die Situation der beiden immer brenzliger, bis die beiden gezwungen sind, mit ihrem Laster voller Schnaps in die Bayous des Mississippi-Deltas zu fliehen. Derweil werden in New York Intrigen gegen Kennedy Senior gespinnt…

Bekannte und unbekannte historische Personen werden in die Handlung eingebunden und verleihen der Geschichte trotz aller Fiktion eine gewisse Authentizität. Manche dieser Figuren sind im historischen Kontext richtig plaziert, andere dazu gedichtet. Manche stammen aus dem realen Kennedy Umfeld – wie die Begegnung mit Jacqueline Bouvier, die später JFKs Frau Jackie werden sollte oder eine gewisse Norma Jean Baker, die mit den Brüdern… äh… verkehrt. Flugpionier Lindbergh wird als strammer Nazi inszeniert und in New Orleans trifft man die Blues Legende Robert Johnson (King of the Delta Blues) sowie einen gewissen Walt Disney, der sich ganz opportunistisch den frankophonen Künstlernamen D’Isigny zugelegt hat. Etwas deplaziert mutet die Anwesenheit des französischen Meister-Regisseurs Henri-Georges Clouzot (Lohn der Angst, Die Teuflischen) an, der ebenfalls einen Gegner des alten Kennedy mimt (gelungen ist dagegen wieder Erich von Stroheim als dessen Chaffeur Eric).

So vermittelt der Band viel an fiktiver Information. Es macht Spaß, sich beim Lesen die realen Hintergründe vor Augen zu führen – Vater und Dynastiebegründer Kennedy, das ist inzwischen belegt, wurde tatsächlich mit Alkoholschmuggel während der Prohibition reich. Andere Begebenheiten sind originell verdreht (die komplette Zeitlinie, die heikle politische Lage). So spannt der Band einen weiten Bogen, erzählt zum einen die Geschichte der gesuchten und verfolgten Kennedys, zum anderen bildet er ein komplettes Geschichts-Panorama einer alternativen was-wäre-wenn Welt. Nur ganz am Ende, als die Handlung wieder von den Kennedys auf die Weltgeschichte ausblickt, wird der Bogen etwas überspannt, hier will man zuviel. Zeichnerisch legt unser alter Bekannter, der Neuseeländer Colin Wilson im Vergleich zum Erstling eine und im Vergleich zum jüngst besprochenen Western ‚Tex: Der letzte Rebell‘ gleich zwei Schippen drauf. Vom pulsierenden New York mit seinen korrupten Politikern und Gangstern zum schwülen New Orleans und den schwer zugänglichen Bayous ist der Band wunderbar stimmig inszeniert. Viele Details, überbordende Panels, markanter Einsatz von schwarz und eine passende Farbgebung sorgen dafür, dass sich der Leser trotz der ‚fremden‘ Zeit heimisch fühlt. Das Kreativteam ist das gleiche wie bei Band 1. Panini veröffentlicht die Reihe, die in Frankreich schon etliche Bände umfasst, nicht chronologisch sondern pickt sich anscheinend nur die Perlen heraus. Wir haben nichts dagegen. (bw)

Tag X, Band 2: Die Kennedy-Gang
Text: Fred Duval, Jean-Pierre Pécau, Fred Blanchard
Bilder: Colin Wilson
64 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Comics
14,99 Euro

ISBN: 978-3-95798-454-8

 

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