Wo sind die grossen Tage geblieben? (Splitter)

September 21, 2015

Wo sind die grossen Tage geblieben? (Splitter)

Fred ist tot. Selbstmord. Schon vor einer Weile. Fred war Hugos bester Freund. Gemeinsam mit Etienne und Jean-Marc waren sie wahre Feierbiester, ein unschlagbares Team. Hugo ist mit Alice verheiratet. Sie leben in Paris, haben eine kleine Tochter. Er arbeitet als Fließband-Letterer für Mangas, hält sich so mehr schlecht als recht über Wasser und träumt von einer Karriere als Schriftsteller. Hugo ist der Einzige, der weiß, wie Fred gestorben ist. Denn er war dabei: Kopfschuss mit einer Signalpistole. Übel. Bilder, die ihn verfolgen. Für Verwirrung sorgen Hinterlassenschaften Freds an seine Freunde. Keiner der drei kann mit dem, was er hoch offiziell vom Notar bekommt, etwas anfangen. Alles scheint willkürlich gewählt. Opernkarten, eine Zwille, ein Buch von Sartre. Die Freunde sind ratlos. Doch Fred schien eine gewisse Weitsicht gehabt zu haben, wie sich später herausstellen wird. Dann kommt eine neue Komponente ins Spiel. Wir erfahren: Hugo geht fremd und: seine Freundin bekommt sogar ein Kind von ihm! Als er dann die Karten auf den Tisch legt und Alice die Wahrheit beichtet, scheint sein Leben den Bach hinunter zu gehen…

Hugo ist ein Wegducker. Er hat sein Leben nicht mehr im Griff, erst recht, seit Fred tot ist. Wie gerne würde er als Autor durchstarten, aber scheitert stets. Er trägt eine gute Portion Mitschuld an seiner Misere. Als seine Mutter bei ihm einziehen will/soll/muss, verheimlicht er das seiner Frau, bis es zu spät ist und die alte Dame bereits vor der Tür steht. Dann ergreift er die Flucht, haut ab und kassiert anschließend lieber eine Mega-Schelte. Nach seinem Geständnis scheint die Sache gelaufen. Natürlich verzeiht ihm Alice nicht. Hugo ist im freien Fall. Und Fred nicht da. Die fiktiven Fred-Telefonate sind rührend, beginnen wider jede Vernunft, bis der Fremde am anderen Ende der Leitung kapituliert und sich Fred nennen lässt. Dann entwickeln die Telefonate eine Eigendynamik, und führen schließlich zu einer unerwarteten Bekanntschaft, die in einer guten Tat mündet, wodurch Hugo ein Gefühl der Wiedergutmachung erfährt. Und wir lernen: auch Kleinigkeiten, scheinbar unbedeutende Dinge, können große Änderungen herbeiführen. Und manchmal ist es umgekehrt: nach dem Sturm kommt die Ruhe. Und bringt dann doch noch inneren Frieden.

Von Jim (alias Téhy und im bürgerlichen Leben Thierry Terrasson) lassen wir uns gerne begeistern. In seinen Graphic Novels (zuletzt ‚Süße Versuchung‘) aber vor allem in seinen beiden Zweiteilern mit ungewöhnlichen wie intensiven Liebesgeschichten (ebenfalls bei Splitter: ‚Eine Nacht in Rom‘ und ‚Helena‘ – hier kommt noch Band 2), wie auch hier in ‚Wo sind die grossen Tage geblieben?‘ schildert er nicht unbedingt alltägliche Storys, verpackt die aber stets so, als seien sie aus dem Leben gegriffen und könnten jedem widerfahren. Dazu kommen diesmal wahre Männerfreundschaft und ein Schuß Wehmut und Melancholie, gefolgt von einem versöhnlichen Ende, das wiederum auf eine gewisse Weise offen bleibt. Kurz gesagt: Jims Comics liest man einfach gerne. Bei SF-Actionthriller ‚Yiu‘ hat er sich noch ausgetobt, hier zeigt er erneut seine einfühlsame Seele und nimmt den Leser wieder mit auf eine Reise, die in leisen Tönen von Liebe, Tragik und großen Gefühlen bestimmt ist. So kocht er auch harte Kerle erfolgreich weich.

Mit Alex Tefengki gibt einmal mehr ein Zeichner sein deutsches Debut, dessen Stil so ausgereift und individuell erscheint, als würde er seit Jahrzehnten erfolgreich veröffentlichen. Wieder mal ein Beispiel, wie unerschöpflich die franko-belgische Comicszene an Talenten ist. Sein Stil ist federleicht und glasklar. Kein Strich ist zu viel. Die Bilder sind ausdrucksstark und transportieren eine wunderbare, der Story entsprechende Atmosphäre, ohne dabei überladen zu sein. Im Original erschien die Geschichte in drei Bänden. Splitter fast diese im neuen kompakten Format (größer als das bisherige Book-Format) in einem Buch als Graphic Novel zusammen. (bw)

Wo sind die grossen Tage geblieben?
Text: Jim
Bilder: Alex Tefenkgi
160 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
24,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-151-2

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