Nicht nur (Revolver-) Helden und klassische Schurken brachte der Wilde Westen hervor, sondern auch kuriose Gestalten, die ihren zwielichtigen Gewerben nachgingen. Das waren beispielsweise Quacksalber, die mit gefährlichem Halbwissen glänzten und dubiose Wundermittel an Mann und Frau brachten, oder auch die Undertaker, die mit ihren schwarzen Mänteln und Zylindern gerne zum Aufräumen kamen, wenn wieder mal einer (oder eine) eines unnatürlichen Todes gestorben war, was ja durchaus der Tagesordnung entsprach. Beide Professionen kennen wir in Form schräger Vögel als Running Gags bei diversen Lucky Luke Episoden. Und letztere spielt nun die Hauptrolle in der neuen Western-Serie von Xavier Dorison und Ralph Meyer.
Jonas Crow heißt unser Undertaker, dem Aussehen nach mit seinen stechend blauen Augen eine gelungene Kreuzung aus Ur-Django Franco Nero und Henry Fondas Erzbösewicht Frank aus ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘. Crow wird nach Anoki City gerufen, um einen gewissen Joe Cusco zu bestatten. Dort angekommen, ist er nicht wenig überrascht, denn sein ‚Kunde‘ ist noch putzmunter (O-Ton Crow: „Und lässt sich da was machen?“). Denn der Misanthrop Cusco, todkrank und stinkreich – er beutete nicht nur seine Mine sondern auch die Bürger aus – plant seinen Tod erst für den Abend. Dazu schluckt er seine Goldnuggets, denn er möchte das Vermögen nicht teilen oder gar vererben, sondern mit ins Grab nehmen… Für die Abwicklung der Beisetzung ist seine englische Buchhalterin Miss Prairie zuständig. Doch schon bald erfahren die Bürger von Anoki City von den besonderen ‚Grabbeigaben‘ in Cuscos Magen und eine wilde Hetzjagd beginnt. Und Crow und Prairie können samt Totengräber-Kutsche mit dem Verblichenen gerade noch so entkommen… vorerst.
Der Band beginnt recht witzig, denn Crow ist sich des (fehlenden) Ansehens seines Jobs durchaus bewusst und hat immer einen lockeren Spruch auf Lager. Dann adoptiert er auch noch einen kleinen Geier als Hausvogel – wie passend. Doch in Anoki City, als er auf das Ableben seines skurrilen Kunden wartet, wird schnell klar: er hat wohl einige Leichen im Keller. Spätestens als er die Deputies des Sheriffs, der ihm langsam auf die Schliche kommt, gnadenlos und brutal abmurkst – der Gore-Faktor also zunimmt – mausert sich die Story in Richtung Italowestern. Und Crow vom lakonisch-ironischen Bestattungs-Unternehmer zum Genre-typischen Anti-Helden mit dunkler Vergangenheit. Bald wird auch klar, warum er mit dem Gewehr so virtuos umgeht wie David Garrett mit seiner Fidel. Neben Crow beleben weitere starke Charaktere den Band: die selbstsichere und pflichtbewusste Buchhalterin, der skurrile und erzunsympathische Cusco. Aber auch die chinesische Haushälterin Miss Lin oder der Minenarbeiter George Hill, der sich auf der Suche nach Gold verschuldete und seine Familie durchbringen muss. So ist die Story quasi bis in die Nebenrollen durchweg gut besetzt.
Dorison schrieb in der Vergangenheit bereits diverse herausragende Szenarien. Serien wie ‚W.E.S.T.‘ (bei Piredda), ‚Heiligtum‘ (bei Spltter), ‚Das Dritte Testament‘ oder ‚Long John Silver‘ (beide bei Carlsen) zeichnen sich trotz unterschiedlichster Genres (aber alle mit Fantasy-Einschlag) durch originelle wie atmosphärisch dichte Geschichten aus. Und nach der ersten ‚XIII Mystery‘ Episode (La Mangouste) und jüngst mit ‚Asgard‘ (als Splitter Double-Album) arbeitet er bei ‚Undertaker‘ erneut mit Ralph Meyer zusammen. Der wiederum wurde bei uns mit dem Dreiteiler ‚Tödliches Wiegenlied‘ (bei Speed) bekannt und brillierte zuletzt bei Salleck in ‚Die Schwarze Seite‘. Meyers realistische Zeichnungen passen in das Western-Genre wie die Faust aufs Auge. Sein Stil steht ganz in der Tradition von Jean Giraud (vgl. Peter Nuytens Apache Junction, Bouncer oder Wanted), ohne diesen jedoch zu kopieren. Die Zeichnung seiner Gesichter zeugt von Eleganz und das Schwarz, das dem Undertaker stets zugeordnet ist, sorgt für eine bedrohliche Aura. Farblich schöpft man dankbarerweise nicht die unendlichen Möglichkeiten des Computers aus, sondern orientiert sich mit satten Farben ganz oldschool-mäßig ebenfalls an o.g. Tradition. Das alles macht den Auftaktband originell, unterhaltsam und abwechslungsreich – eine runde Sache also. Als Dreingabe gibt‘s noch einen Skizzenteil mit Charakterstudien und drei wunderbare ganzseitige Bilder. (bw)
Undertaker, Band 1: Der Goldfresser
Text: Xavier Dorison
Bilder: Ralph Meyer
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
14,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-127-7