Autor und Zeichner Jean Graton (1923-2021), der „Vater“ von Michel Vaillant, stellt eingangs von Band 11 der Gesamtausgabe eindrucksvoll und einmal mehr unter Beweis, dass er sich überall zuhause fühlt, wo es um Rennen geht, bei denen ein Motor – egal welcher Art – involviert ist. So spielt die erste der Kurzgeschichten in diesem Band in Paris auf der Seine, wo das 6-Stunden-Rennen für Motorboote stattfindet. Mit am Start ist Michel Vaillant, der hier vom Asphalt auf das Wasser wechselt, was ihm nicht wirklich bekommt („Gefahr auf dem Wasser“ von 1971).
Nun folgen drei Episoden aus einem Sonderband von 1973, in dem Motorräder im Mittelpunkt stehen: In „Pech für Joel“ verfolgen wir ein Motorcross Duell und in „Ago kämpft sich durch“ wechseln wir wieder auf die Straße. In beiden Geschichten stehen mit Joel Robert und Giacomo Agostini zwei reale, ehemalige Champions im Vordergrund. Anschließend besuchen wir mit Michel einen Eisspeedway Wettbewerb, den die Russen dominieren („Sie kamen aus dem Osten“).
„Eine Falle für Steve Warson“ von 1976 widmet sich dann erstmals in diesem Band ganz dem Freund und Rennfahrer-Kollegen von Michel. Nach einem glimpflich verlaufenden Unfall muss ich Steve mit einem weiblichen „Anhängsel“ beschäftigen, ob er will oder nicht. Eine fast parodistische Annährung von Steves Wirkung bei Frauen. In „Traum vom Jahr 2000“ aus dem Jahr 1979 sinniert Michel über ein Formel 1 Rennen in der Zukunft (s. Bild rechts). Sehr futuristisch – und freilich nicht ganz so, wie es wirklich kam und bis heute ist…
„Aufstand der Champions“ von 1978 ist dann die erste albumlange Episode – eine Fortsetzung von „Die jungen Wölfe“ aus Band 10. Die aufstrebenden und ehrgeizigen Nachwuchsfahrer sind inzwischen in der Formel 1 angekommen und konkurrieren mit den etablierten Piloten. Allen voran Alfredo Fabri, der noch immer von seinem dubiosen Onkel gesponsert wird und der zu Beginn der Saison sogar einige Erfolge feiern kann. Bis es freilich zum dicken Ende kommt. Die kurz begründeten Abwesenheiten des Onkels entwickeln sich dabei zum regelrechten Running Gag.
In „Der Hitzkopf“ spielt der sonst so sympathische Yves Douléac die Hauptrolle. Gemeinsam mit seiner Partnerin – beruflich wie auch privat – Gabriele Spangenberg nimmt er an der Rennserie der Markenweltmeisterschaft teil. Und verhält sich zunehmend seltsam. Er ignoriert Stallorder, zeigt sich verbissen und aufbrausend, will um jeden Preis Rennen gewinnen. Was keiner weiß: er muss. Doch seine Extra Touren kommen nicht gut an – er wird von Michels Bruder und Teamchef Jean-Pierre suspendiert. Bis sich am Ende alles aufklärt.
Kein gutes Ende, das sei verraten und den meisten bekannt, nimmt der Klassiker „K.O. für Steve Warson“, 1978 in Zack erstveröffentlicht und das Highlight des Bandes: Nach gut einem Jahr trifft Steve Ruth wieder. Er weiß, sie ist die Tochter des Leaders, des Vaillant-Erzfeindes, der gerade wieder in die Formel 1 eingestiegen ist. Sie ahnt natürlich nichts von ihrer „illustren“ Herkunft. Steve und Ruth kommen sich erneut näher, diesmal scheint es ernst zwischen den beiden zu sein. Eine Romanze entwickelt sich, die für Steve in einer Katastrophe endet…
Wie einige Geschichten in diesem Band wurde „K.O. für Steve Warson“ exklusiv für das Koralle-Zack produziert (auch andere Künstler, wie Hermann oder Jean Giraud standen damals direkt bei Koralle unter Vertrag). Es war die letzte Blütezeit des Hefts, das seinerzeit auch international mit Schwestermagazinen vertreten war (in Frankreich als „Super As“). Das Ende der Story war ein Schock für die damaligen Zack-Leser (wie mich). Man konnte mit Steve regelrecht mitfühlen und war entsetzt, als Ruth (und ihr Rennleiter, der aber wortwörtlich) die Maske fallen ließ.
Ein Charakteristikum der Reihe war und ist der realistische Anspruch – nicht nur in den filigranen Zeichnungen – und der dokumentarische Anstrich, immerhin war Graton ständig auf Rennstrecken unterwegs. Reale Rennfahrer begleiten das Geschehen, Michel und Steve fahren hier beispielsweise u.a. gegen Niki Lauda. Durch diesen dokumentarischen Stil (der immer wieder originell inszeniert ist – man denke beispielsweise an das Renngeschehen bei Eisspeedway, das aus der Ich-Perspektive geschildert wird – siehe Bild links) bekommt man als Leserin und Leser nicht immer einen perfekten, bzw. traditionellen Spannungsbogen serviert.
Oft geht es eben fast nüchtern von Rennen zu Rennen. Und dazwischen sprechen Figuren, wie Jean-Pierre, Michels Bruder, den Leser mitunter direkt an, um Sachverhalte zu erklären oder um in die Story einzuführen. Auch wegen dieser Eigenschaften, die dann schon wieder ein Alleinstellungsmerkmal darstellen, wurde Michel Vaillant zum Serien-Dauerbrenner. Bis heute, auch wenn heute niemand mehr aus der Graton-Familie am Serien-Ruder ist (die neuen Alben erscheinen in der Zack Edition bei Blattgold).
Zwischen den Geschichten sehen wir wie gehabt diverse Erläuterungen, Infos zu den historischen Veröffentlichungen in Frankreich und Deutschland, alte Titelbilder, oft für das Zack-Magazin, und Entwürfe Jean Gratons. Zum Schluss finden wir wieder einen Sekundär-Artikel über das damalige, zeitgenössische Renngeschehen in der Formel 1, sowie einen kurzen Bericht über Michel Vaillant in Deutschland in den Jahren 1978 und 1979. Somit bleibt die Collector’s Edition ein Muss für Zack Fans aus seligen Koralle-Zeiten. (bw)
Michel Vaillant Collector’s Edition, Band 11
Text & Bilder: Jean Graton
232 Seiten in Farbe, Hardcover
Egmont Comic Collection
45 Euro
ISBN: 978-3-7704-0695-1