Auch Dank Rob Guillory wissen wir nach dem Lesen der Reihe „Chew – Bulle mit Biss“ inzwischen, was ein Cibopath ist. Nicht gelesen und daher keine Ahnung? Pech gehabt, dann ist es zu spät, die Bände der Serie, einst bei uns bei Cross Cult erschienen, sind längst vergriffen und ein Nachdruck scheint außer Sichtweite. Nun bringt der Verlag Skinless Crow aber mit „Farmhand“ eine neue Reihe, bei der Guillory zudem nicht nur als Zeichner, sondern auch als Autor fungiert (bei „Chew“ war das noch John Layman). Und die erweist sich als ein ähnlich durchgeknallter wie origineller Trip, wieder vorausgesetzt, man ist für schräges und wildes Zeug zugänglich. Dann – das vorweg – hat man hier bei der Lektüre einen Heidenspaß und kommt voll auf seine Kosten. Die Serie erschien zwischen 2018 und 2022 bei Image Comics und wurde in vier Sammelbänden zusammengefasst, von denen der erste nun auf Deutsch vorliegt.
Zuerst muss man die skurrile Grundidee verinnerlichen, auf der die Story stets konsequent aufbaut: Jedidiah „Jed“ Jenkins war ein leidlich talentierter Farmer, bis ihn vor einigen Jahren der Blitz der Erleuchtung traf und zwar in Form einer Vision. Daraufhin erfand er den „Jedediah-Samen“ aus intelligenten menschlichen Stammzellen, die instinktiv wissen, wie sie zerstörtes oder fehlendes Gewebe reparieren können. Also praktisch menschliche plug-and-play Organe und Extremitäten. Der Clou daran: die Körperteile werden angebaut wie Obst und Gemüse und werden damit sprichwörtlich geerntet. All das bedeutet natürlich eine medizinische Revolution und weckt Begehrlichkeiten, weshalb Jed seine Körperteile-Farm, die inzwischen mehr einer Fabrik gleicht, streng vor der Außenwelt bewachen und abschirmen muss.
Jed hat einen Sohn, Ezekiel – Zeke genannt. Mit dem und dessen Familie hatte er sich sieben Jahre lang verkracht. Nun folgt die Versöhnung. Man will familientechnisch neu anfangen. Zeke, ein Comicautor, sucht sich einen neuen Job, man zog wieder in die Heimat nach Freetown in Louisiana, wo Jeds „Farm“ steht. Doch schon bald ziehen dunkle Wolken auf über dem sich gerade formierenden neuen Familien-Idyll. Die Vergangenheit zeigt noch ihre Spuren, v.a. was Zeke betrifft. Und auch auf der Farm scheinen diverse Dinge noch nicht ganz ausgereift zu sein, gelinde gesagt. Was Zekes Kinder Riley und Abigail fast am eigenen Leib zu spüren bekommen. Später konzentriert sich das Geschehen auch auf Zekes Schwester Andrea, die im Mittelpunkt der letzten beiden Kapitel steht und die auch eine spezielle Vergangenheit hat und einen Job hat, von dem niemand weiß…
Es gibt noch viel mehr Facetten in der Story, die ihre Fühler in alle Richtungen ausstreckt: da ist zum einen das zuvor nicht vorhandene und nun fragile Verhältnis von Vater Jenkins und Sohn Zeke, in dem sieben Jahre Funkstille herrschte. Dann die Art und Weise, wie Jed, eigentlich ein einfacher Farmer, den Geistesblitz bekam. Eine Übernatürliche oder gar göttliche Vision? Außerdem scheint Jed noch das ein oder andere Geheimnis zu umgeben, wo er und sein Sohn doch nun vereinbart haben immer ehrlich zueinander zu sein. Und ist mit den künstlichen/pflanzlichen Gliedmaßen überhaupt alles in Ordnung? Warum mutiert dann ein Schoßhündchen so ungezügelt und schnell? Außerdem sind Jed und seine Farm in der Stadt nicht sonderlich beliebt. Und welche Rolle spielt Andrea, Zekes Schwester, wirklich? Es gibt also etliche Wege, die die Story noch beschreiten kann und wird.
Guillorys Zeichnungen sind gewohnt kantig, vielleicht noch mehr in Richtung Cartoon als noch bei Chew, wobei die Kolorierung von Taylor Wells eine gewisse Tiefe mit einbringt. In der Story (und in den Hintergründen der Panels – es gibt da immer was zu entdecken, wie beispielsweise die verschiedenen Aufschriften auf Kaffeetassen oder Hinweisschilder) blitzt ständig schwarzer Humor durch, zwischendurch auch mal blutig, wie das makabre Ernten und rabiate Einsetzen neuer Gliedmaßen bei Patienten. Auch bekommt der Begriff „Melonenfeld“ eine ganz neue Bedeutung und beim „Armbaumtrimmen“ (bitte wörtlich nehmen) können schon einmal kuriose Unfälle geschehen… Der Band ist in einer Softcover- und einer Hardcover-Variante (s. rechts) erhältlich, jeweils limitiert auf 333 Exemplare, wobei der Titel der Hardcover-Version mit einer Metallfolienprägung veredelt wurde. (bw)
Farmhand, Band 1: Ernten, was man sät
Text & Story: Rob Guillory
Bilder: Rob Guillory, Taylor Wells (Farben)
152 Seiten in Farbe, Soft- und Hardcover
Skinless Crow
24,50 Euro (Softcover)
34,50 Euro (Hardcover)
ISBN: 978-3-03963-027-1 (Softcover)
ISBN: 978-3-03963-028-8 (Hardcover)