Der Außenseiter (Carlsen)

Februar 2, 2023
Der Außenseiter und andere Geschichten (Carlsen Manga)

Auch bevor Mangaka Gou Tanabe mit seinen höchst erfolgreichen Lovecraft-Adaptionen durchstartete, war er bereits aktiv. Ebenfalls mit Adaptionen. Dieser Band stellt fünf davon vor (und eine Originalstory), quasi als Querschnitt durch Tanabes Frühwerk, die von der Thematik unterschiedlicher nicht sein können. Los geht’s mit seiner allerersten, Titel gebenden Lovecraft Story „Der Außenseiter“ („The Outsider“, 1921 geschrieben und 1926 in Weird Tales veröffentlicht), die bereits 2004 erschienen ist: Ein namenloser junger Mann ohne Erinnerung irrt einsam in einem tristen, verfallenen Schloss umher, steigt schließlich einen Turm hinauf und entdeckt dort einen Zugang zu einer anderen Welt. Eine schöne Schauergeschichte und gleich zu Beginn ein Highlight des Bandes, mit einer durchgehend düsteren Atmosphäre, die schon hier unter Beweis stellt, warum sich Tanabe in der Folge für Lovecraft Adaptionen entscheiden wird.

Die folgenden beiden Geschichten basieren auf Erzählungen zweier berühmter russischer literarischer Schwergewichte: In „Das Haus mit dem Mezzanin“ von Anton Tschechow (1896 veröffentlicht) trifft ein Landschaftsmaler, auch er namenlos und von Tanabe jungenhaft gezeichnet, auf zwei Schwestern. Mit einer bändelt er an, es kommt zu einem ersten Kuss, doch seine politisch-gesellschaftliche Einstellung steht der Beziehung im Wege. „Sechsundzwanzig und eine“ ist eine Erzählung von Maxim Gorki aus dem Jahr 1899 und handelt von Zwangsarbeitern, die im stickigen Keller einer Bäckerei Brot herstellen müssen und deren einzige Abwechslung die junge Tanja ist, die einmal am Tag kommt, um etwas Brot abzugreifen. Bis das Auftauchen einer dritten Person dieses seltsam respektvolle Gefüge zerstört. Beide Storys zeichnen sich durch starke Mimiken und Close-Ups aus.

Nun folgt die Umsetzung einer Kurzgeschichte des Manga-Autoren Carib song (d.i. Garon Tsuchiya), der 2018 starb und der unter diversen Pseudonymen veröffentlichte (sein bekanntestes Werk dürfte die Vorlage zu „Oldboy“ sein). In „Der Straßenmusiker auf der Pont Neuf“ geht es um eine phantastische Begegnung, die einen jungen Mann nachhaltig prägt. „Kasane: Der Mord an Soetsu, Episode 1“ ist der Auftakt einer bisher unveröffentlichten und unvollendeten Adaption einer Erzählung des Autors Sanyutei Encho. Hier taucht Tanabe erstmals in Japans Geschichte ein. Ein blinder Geldverleiher, jetzt selbst in finanziellen Nöten, verlangt von einem Samurai sein Geld zurück, das er ihm bereits vor drei Jahren gab. Ein gefährliches Unterfangen. „Kasane…“ ist nach der Titelstory das zweite Highlight des Bandes, mit filigranen, ausdrucksstarken Panels und beeindruckenden Licht- und Schatten-Elementen.

Zwei Fantasy-Stories, wieder historisch, aber diesmal keine Adaptionen, sondern „Eigengewächse“ Tanabes („Juga – Magische Bilder“, Teil I und II), beenden den Band. In beiden Geister-Geschichten spielt Kannibalismus eine Rolle. Hauptfigur ist ein Mönch, der als eine Art „John Constantine meets William Gravel“ mit Verstand, Magie und Gewalt die phantastischen Fälle löst. Im Gegensatz zu den vorherigen Episoden kommt „Juga…“ etwas kommerzieller und auch actionreicher daher. Fazit: Schön und wertig aufgemacht stellt der Band mit seiner bunten Mischung (von Pulp über Literaturklassikern bis zum Manga-Autor) sicher eine Ergänzung zu Tanabes Lovecraft Titeln dar (in gleicher Ausstattung), zeigt aber auch die vielen künstlerischen Facetten des Autors und Zeichners. Dass er bei Lovecraft geblieben ist, hat sich am Ende ausgezahlt, auch wenn die „Kasane…“ Story in diesem Band massiv Appetit auf mehr macht. (bw)

Der Außenseiter und andere Geschichten
Text & Bilder: Gou Tanabe
208 Seiten in Schwarz-Weiß, Softcover
Carlsen Verlag
14 Euro

ISBN: 978-3-551-76718-9

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