Agent Cole Turner, FBI-Ausbilder und Dozent, forscht gerne. In Internetforen und anderen Zusammenkünften diverser Trolle fahndet er nach absurden Verschwörungstheorien, um die Mechanismen dahinter zu erkennen und die Verantwortlichen auszumachen. In gleicher Mission besucht er auch die jährliche Konferenz der Flat Earth-Jünger – der Fraktion, die der Theorie nachhängt, die Erde sei flach, was uns „die da oben“ nur nicht mitteilen wollen. Aber der Event gestaltet sich gänzlich anders als geplant: die beiden Organisatoren Kenneth und Bertram Boulet, beides texanische Ölmagnaten, die seit Jahren rechte Politiker unterstützen, nehmen ihn mit ins Hinterzimmer, wo ein Film gezeigt wird, der jüngst aus dem Privatarchiv von Stanley Kubrick aufgetaucht ist – und der durchaus überzeugend beweist, dass die ganze Mondlandung nur inszeniert war.
Reichlich verunsichert, lässt sich Cole im Privatjet mitnehmen und traut seinen Augen kaum, als man tatsächlich am Ende der flachen Erdscheibe Mauern aus Eis antrifft, die die Welt begrenzen. Bevor Cole sich fragen kann, wie das denn alles zusammenpasst, wird die ganze Reisegruppe von einer rabiaten Dame erschossen, die ihn mitnimmt in den Keller der Kongressbibliothek in Washington. Dort verhört man Cole und eröffnet ihm schließlich, dass er nicht verrückt ist. Vielmehr hat er das Phänomen der „Tulpa“-Manifestation erlebt – jenes Phänomens, demzufolge in der buddhistischen Lehre und in der Theosophie die Realität sich durch festen Glauben daran erst manifestiert. Sprich: je mehr Wirrköpfe fest an eine Verschwörung glauben, desto mehr schleicht sich diese als „alternative Wahrheit“ in die Realität ein – und das muss um jeden Preis verhindert werden.
Dafür sorgt die Organisation, die dem staunenden Cole als „Department Of Truth“ vorgestellt wird: unter Führung von niemand anderem als Lee Harvey Oswald überwacht diese geheime Abteilung Fälle, in denen sich Verschwörungstheorien in die reale Welt schleichen und schreiten durchaus rabiat dagegen ein. Federführend dabei ist die Agentin Ruby, an deren Seite Cole fortan mit immer neuen Aufträgen konfrontiert wird. Dabei begleitet ihn stets die eigene Vergangenheit: in den 80ern wurde er als Kind ein Opfer der „Satanic Panic“, in der die unausrottbare Theorie einer finsteren Herrscherkaste, die Kinder entführt und tötet, so virulent wurde, dass Kinder tatsächlich zu entsprechenden Aussagen gedrängt wurden. Cole war bislang überzeugt, der bedrohliche „Sternenmann“ existiere nur in seiner Fantasie, aber das Archiv des Department of Truth, betreut von Doktor Aluhut, enthüllt, dass auch dieses Figment der Vorstellung vielleicht in die Realität übergewechselt ist…
Was ein geniales Konzept! James Tynion IV. entführt uns ja schon mit „Something Is Killing The Children“ in eine alptraumhafte Welt, in der Monster existieren, die nur von Kindern und Auserwählten gesehen werden. Für diese neue Reihe entwickelt er nun die mehr als verstörende Idee, dass Verschwörungstheorien noch gefährlicher sind als ohnehin schon zu befürchten: getreu dem Motto, dass der Glauben die Realität schafft (was als These nicht nur im Buddhismus, sondern in zahlreichen philosophischen Richtungen durchaus gängig ist), können Wirrköpfe ihre Theorien faktisch entstehen lassen, wenn sie nur genügend Gläubige auf ihre Seite ziehen.
Das reicht von der Flacherde-Mythologie (alle Regierungen, Fluggesellschaften und Wissenschaftler sind natürlich eingeweiht, sonst klappt das nicht) über die „Satanic Panic“-Tendenzen, die bis heute in den „Deep State“ und QAnon-Märchen der kindermordenden geheimen Herrscherkaste auftauchen, bis hin zu den perfiden „Krisendarsteller“-Narrativen, die allen Ernstes behaupten, Berichte über Amokläufe an Schulen seien lediglich inszeniert, um den bösen Linken ein Argument gegen die Waffenlobby zu liefern (diese Episode, in der die Mutter eines von einem Amokläufer ermordeten Kindes selbst diesem Wahn anheimfällt und so in die Realität zieht, ist mehr als beklemmend).
Eine durchdachtere Art, die ganze Verwirrtheit, aber auch Gefährdung der immer neuen, teilweise auch altbekannten Verschwörungserzählungen bloßzustellen, ist kaum denkbar – wobei Tynion auch eine schlüssige Erklärung für die Popularität der Theorien liefert: immerhin geben sie den gefühlt Machtlosen einen Sinn und vor allem das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, da man „die Dinge durchschaut“ und damit zu einem exklusiven Kreis gehört (was im Übrigen oft auch der psychologische Mechanismus ist, dem immer wieder Opfer von finanziellen Betrugsmaschen zum Opfer fallen). Dass Tynion dabei natürlich selbst ein wenig in die Kerbe der geheimen Unterabteilungen des FBI schlägt, geht dabei vollkommen in Ordnung: die „Men in Black“ werden ebenso so oft direkt zitiert wie das Kellergewölbe und das Gespann Cole/Ruby natürlich eine Referenz auf die Mutter aller Conspiracy-Mythen, den X-Files ist – bei denen es sich allerdings immer um eine intellektuelle Fingerübung handelte, die eher ein gesunde Portion Misstrauen empfahl als wirklich die Herrschaft der Reptiloiden propagierte.
Und dass die Bezeichnung der Spezialeinheit sehr eng an George Orwells Ministerium der Wahrheit angelehnt ist, mag auch nicht unbedingt nur Gutes verheißen. Martin Simmonds fährt in seiner Gestaltung die ganz große Geisterbahn ab, stilisiert, verzerrt, expressiv, oft collage-haft und immer sehr nah am Großmeister dieser Spielart, Dave McKean. Ein High Concept-Werk also, das man nur schwerlich aus der Hand legen kann – zu faszinierend, verstörend und entlarvend ist diese leider nur allzu relevante Geschichte. Der vorliegende Band versammelt die ersten fünf Ausgaben der Reihe „Department Of Truth“, die im Original 2021 erschienen, ergänzt um eine Covergalerie. Band 2 erscheint im Oktober. (hb)
The Department of Truth, Band 1: Das Ende der Welt
Text: James Tynion IV.
Bilder: Martin Simmonds
144 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
22 Euro
ISBN: 978-3-96792-254-7