München 1945, Band 1 (Carlsen)

Dezember 6, 2021
München 1945, Gesamtausgabe 1 (Carlsen Verlag)

München, im April 1945. Der Krieg ist schon lange verloren, in der zerbombten Stadt bereitet man sich nun auf die Ankunft der Amerikaner vor. Hierbei trifft der Sanitätssoldat Daniel Stevens erstmals auf die junge Konstanze, die bei ihrer Tante lebt. Deren Sohn Roman wurde mit 17 Jahre in den Volkssturm eingezogen und gilt seit Wochen als vermisst, bis er dann doch noch zurückkehrt. Nach der Kapitulation begegnen sich Daniel und Konstanze wieder, als Konstanze, die ein wenig Englisch spricht, für ihre Arbeit als Krankenschwester um medizinisches Material bittet. In der Folgezeit trifft man sich öfter und kommt sich dabei auch langsam näher. Trotz aller Widrigkeiten, die diese Zeit mit sich bringt.

Sabrina Schmatz bettet ihre zarte Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Kriegsendes und zeichnet dabei ein Portrait dieser wirren Zeit rund um die Stunde Null, als viele Menschen alles verloren haben, ihre Orientierung suchen und noch nicht in der Lage sind, die neue Situation einordnen zu können. Erst der blinde Führerglaube, nun die Realität, in der die Amerikaner, als Besatzer und als Befreier gleichermaßen angesehen werden. Vor allem Roman, mit 17 Jahren fast noch ein Kind, vermag die neue Zeit nicht zu akzeptieren. Als ehemaliger Soldat wird er von den Amis gezwungen, die unerträglichen Bilder aus den Konzentrationslagern anzusehen, unfähig zur Einsicht. Und die sich anbahnende Beziehung zwischen Daniel und seiner Cousine Konstanze kann er nicht verstehen. Sich mit dem Ami abgeben oder gar anbandeln? Ein Unding. Und mit dieser Ansicht ist Roman nicht alleine, zumal es auch bei den Amerikanern schwarze Schafe gibt.

Was Roman nicht wissen kann: sowohl Daniel als auch Konstanze haben Kriegs-Traumata zu verarbeiten, die in Rückblenden geschildert werden. Beide müssen dadurch eine schwere Last bzw. Schuld tragen, so unterschiedlich diese auch sein mag. Im Zentrum des ersten Bandes der Gesamtausgabe steht die sich anbahnende Beziehung der beiden, für deren Entwicklung sich Sabrina Schmatz angenehm viel Zeit nimmt. Auch hier sind sich beide von Beginn an der äußerst komplizierten Umstände bewusst, die sich in etlichen Konflikten zeigen, auch auf Seiten Dans. So muss er sich mit einem Vorgesetzten auseinandersetzen, der die Beziehung missbilligt und Deutsche als Nazis pauschalisiert. Später stellt Dan Konstanze die Gretchenfrage: Wie konnten so viele einem Verrückten wie Hitler folgen?

Bemerkenswert die Dialoge und die Sprache des Bandes. Man unterhält sich gerne im Münchener Dialekt oder auf Englisch (oder gemischt, wie beispielsweise in der Szene, in der Konstanze Dan ein typisch bayerisches Gericht erklären will), wobei die Dialoge der Amerikaner und zwischen den beiden Hauptakteuren nicht übersetzt werden – also nix für Englisch Unkundige. Der immer wieder skizzenhafte Zeichenstil, der Markenzeichen des Bandes ist, präsentiert starke Gesichter und Mimiken, wobei sich Manga Einflüsse unverkennbar, aber nicht dominant zeigen. „München 1945“ wurde bei Schwarzer Turm ab 2016 in insgesamt sechs Bänden erstveröffentlicht, die dort auch allesamt noch erhältlich sind. Und 2017 mit dem ICOM-Independent-Comic-Preis in der Kategorie „Herausragendes Artwork“ ausgezeichnet. Carlsen bringt die Reihe nun in zwei HC-Bänden als erweiterte Gesamtausgabe. Der zweite und abschließende Teil ist für den Mai nächsten Jahres geplant. (bw)

München 1945, Gesamtausgabe 1
Text & Bilder: Sabrina Schmatz
184 Seiten in Schwarz-Weiß mit Farbseiten, Hardcover
Carlsen Verlag
24 Euro

ISBN: 978-3-551-72077-1

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