Eine goldene Taschenuhr englischer Herkunft, die über Jahre und gar Jahrhunderte immer wieder den Besitzer wechselt, ist zwar nicht der Hauptdarsteller dieses Bandes, aber die eine Sache, die eine Gemeinsamkeit, die sämtliche Episoden und Epochen darin miteinander verknüpft. Denn Tiburce Oger, der in der jüngeren Vergangenheit durch Western One-Shots wie „Ghost Kid“ oder „Buffalo Runner“ beeindruckte, beschränkt sich hier auf die Autorenschaft und überlässt die visuelle Gestaltung einer elitären Riege von franko-belgischen Zeichenkollegen, von denen jeder eine Uhren-Episode gestaltet. Der Clou: jeder dieser Künstler, darunter echte Schwergewichte, wie Michel Blanc-Dumont, François Boucq oder Christian Rossi, hat bereits selbst Werke und Serien aus dem Western-Genre hervorgebracht, teilweise sogar mehrere und über mehrere Jahrzehnte.
Die lange Reise unserer Taschenuhr beginnt im Jahre 1763 in Pennsylvania, also noch vor Gründung der Vereinigten Staaten, wo sich Franzosen und Engländer und deren verbündete Indianerstämme gerade bekriegen. Vertrautes Terrain also für Aquarell-Meister Patrick Prugne, der in seinen Einzelbänden (zuletzt mit „Tomahawk“) Geschichten aus jener Zeit stets atmosphärisch dicht erzählt. Nun folgt gleich ein recht großer Sprung ins Jahr 1825. Die Uhr ist inzwischen in den Händen einer jungen Indianerin, die von einem knorrigen, aber grundehrlichen Trapper aus strategischen Gründen geheiratet wird. Gezeichnet von Olivier Taduc, jüngst beim Comic-Salon in Erlangen zu Gast und mit einer neuen Gesamtausgabe seiner Westernserie „Chinaman“ bei Salleck vertreten. Nach insgesamt 13 Episoden – später werden die Jahresabstände kleiner – schließt sich 1938 in New Mexico der Kreis. Der Wilde Westen ist Geschichte. Die der Uhr wird aber weitergehen.
Die Episoden, bis auf eine kleine Rahmenerzählung zu Beginn und am Ende, sind chronologisch geordnet und stehen weitgehend für sich. Die Uhr ist die eine Verbindung, der rote Faden, der immer gegeben ist, wobei gelegentlich einzelne Personen oder deren Nachkommen in zwei Abschnitten auftauchen und diese dadurch ebenfalls verknüpfen. Natürlich „leidet“ aufgrund dieses Konzeptes mit Anthologie-Charakter die inhaltliche Geschlossenheit und Tiefe. Dadurch muss sich Tiburce Oger aber auch wenig um die Continuity sorgen und so ergibt sich die Gelegenheit, einerseits Geschichtliches abzudecken (die „Eroberung“ des Westens samt Bürgerkrieg, Pony-Express und Pancho Villa) und andererseits kann er etliche typische Western-Motive und auch Stereotypen behandeln, wie Postkutschen-Überfälle, Indianerentführungen und Viehdiebstahl. Menschliche Abgründe, wie Neid und Missgunst kommen natürlich ebenfalls zur Sprache, so wild und rau wie der Westen eben war.
Das Salz in der Suppe dieses Bandes sind damit die Zeichner und deren unterschiedliche Stilrichtungen. Von Prugnes Aquarell-Bildern über Teducs Realismus, Félix Meynets wunderbaren Farben bis zu Bertails charakteristischen Brauntönen, während Ralph Meyer und François Boucq dem beinahe „traditionellen“, von Giraud geprägten Blueberry-Stil Tribut zollen, wenn auch etwas oberflächlicher als in ihren eigentlichen Serien. Kleiner Service von uns: Die (allermeisten) Western-Bände und Serien der an diesem Band beteiligten Zeichner (inklusive Enrico Marini, der das Cover gestaltete. Und Hermann fehlt leider…), die bis auf eine Ausnahme allesamt auch bei uns erschienen sind, haben wir unten samt Verlagen (und Rezensions-Links) aufgeführt. Dann viel Spaß beim Lesen! (bw)
Go West Young Man
Text: Tiburce Oger
Zeichnungen:
Paul Gastine (Bis zum bitteren Ende – Splitter)
Patrick Prugne (Tomahawk, Irokesen, Pawnee – Splitter)
Olivier Taduc (Chinaman – Salleck)
Benjamin Blasco-Martinez (Catamount – Splitter)
Ralph Meyer (Undertaker – Splitter)
Félix Meynet (Sauvage-– Salleck)
Dominique Bertail (Mondo Reverso – Schreiber & Leser)
Hugues Labiano (Der Stern der Wüste 3+4 – Panini)
François Boucq (Bouncer – Schreiber & Leser)
Éric Hérenguel (Silbermond über Providence, Ulysses 1781 – Splitter)
Michel Blanc-Dumont (Blueberry, Cartland – Splitter)
Steve Cuzor (O’Boys – Ehapa/ECC)
Christian Rossi (W.E.S.T., Jim Cutlass, Der Planwagen des Thespis, Deadline – Piredda, Carlsen/Kult, Piredda, Splitter)
Michel Rouge (Comanche, Gunfighter – Splitter)
Ronan Toulhoat (Wild West, bisher nicht auf Deutsch)
Enrico Marini (Der Stern der Wüste 1+2 – Panini)
112 Seiten, Hardcover
Splitter Verlag
25 Euro
ISBN: 978-3-96792-277-6