Hartsville, Tennessee, im Jahr 1901. Ein grimmiger Fremder besucht das kleine Kaff. Seine Mission: Rache. Er erschießt einen alten Mann, Captain John C. Lester, ehemaliger Soldat der Südstaaten und Mitbegründer des Ku-Klux-Klans. Rückblende ins Jahr 1864. Der Mörder, so erfahren wir, heißt Louis Paugham. Als jungen Mann, nach dem Mord an seinen Eltern und einer unglücklichen, weil nicht statt gefundenen Kindheit, finden wir ihn mitten im Sezessionskrieg als Soldat des Südens wieder. Er ist Wachsoldat in einem riesigen Gefangenenlager mit tausenden Unionssoldaten (das auf einer beeindruckenden Doppelseite gezeigt wird). Als die Armeen der Nordstaaten immer näher rücken, werden die Gefangenen in kleinen Gruppen verlegt. Einen dieser Transporte bewacht Louis. Geführt wird er vom sadistischen Sergeant Lester. In einem schweißtreibenden Marsch geht es Richtung South-Carolina. Unter den Gefangenen ist ein Schwarzer, der Louis ob seiner stoischen Ruhe und seiner aufrechten Haltung schwer beeindruckt. Eine Mischung aus ehrfürchtigem Staunen und Bewunderung.
Nach einem heftigen Unwetter, in dem Louis eine unheimliche Begegnung (oder war es ein Traum?) mit dem Schwarzen hat, ist dieser verschwunden. Louis findet ihn, massakriert von Lester und dessen Vorgesetzten Major Jones. In dem Augenblick erkennt Louis, dass er in den Mann verliebt war. Dann wird er selbst zum Gejagten. Mit Müh und Not kann er seinen Häschern Lester und Jones entkommen, wird zum Deserteur.
Ungewöhnlicher Western, ungewöhnliches Story-Motiv. Eine tragische Hauptperson, weit weg vom Image eines glänzenden Westernhelden. Vielmehr ein Held, der auf dramatischste Weise seine Homosexualität entdeckt, in einem Moment, der fortan sein ganzes Leben bestimmen soll. Ein Held, der sein gesamtes Dasein von einen Unglück ins andere stolpert. Zuerst muss er machtlos mit ansehen, wie seine Eltern ermordet werden. Dann nimmt ihn ein idealistischer Sklavengegner auf, der ausgerechnet im Süden seine Ansichten verbreiten will. Später wird auch dieser von Konföderierten ermordet und Louis muss der Armee beitreten. Dort folgt das traumatische Erlebnis mit dem Massaker an dem schwarzen Unionssoldat, was zu Louis’ persönlichem Coming-Out führt. Später treibt ihn diese Erkenntnis und die einschneidende Begegnung rastlos (und auch ratlos) um. Er nimmt Gelegenheitsjobs an, trinkt und scheitert immer wieder, als ihn seine Vergangenheit einholt. Schließlich, nach vielen Jahren, findet er Lester wieder. Siehe Anfang.
Und die Titel gebende Deadline? Die ist wörtlich zu nehmen. Eine willkürlich in den Dreck gezogene Linie markiert die Grenze zwischen den Gefangenen und deren Bewachern. Wer dieser Linie nahe kommt oder sie gar überschreitet, stirbt, wird ohne Vorwarnung erschossen. Auch diese Linie begleitet Louis sein Leben lang, bis er sie schließlich selbst überschreitet und – ein einziges mal glücklich ist?
Mal ein Western, der sich im Stil nicht an Girauds Blueberry orientiert. Zeichner Rossi ist bereits ein erfahrener Westerner. Bei seinen früheren Serien wie Jim Cutlass (mit Giraud!) und Der Planwagen des Thespis war das noch anders, noch Giraud-konformer. Aber in W.E.S.T., jener faszinierenden Mischung aus Western und Fantasy (bisher sechs Bände bei Ehapa und Piredda), zeigte er einen anderen Stil, in dem die Farbgebung eine große, wenn nicht entscheidende Rolle einnimmt. Weniger harte Tusche, mehr erdige Brauntöne, die sehr gefühl- und stimmungsvoll den Look der Panels bestimmen. Und hier bei diesem Einzelalbum wurden die Zeichnungen von Rossi mit Acryl- und Aquarellfarben direkt koloriert (Couleur Directe) und erzeugen dadurch einen wunderbaren Realismus. Hut ab dafür. (bw)
Deadline
Text: Laurent-Frédéric Bollée
Bilder: Christian Rossi
96 Seiten in Farbe
Splitter Verlag
17,80 Euro
ISBN: 978-3-86869-733-9