Sankt Petersburg zur Mitte des 19. Jahrhunderts: der Jura-Student Rodion Romanowitsch Raskolnikow kommt aus derart prekären Verhältnissen, dass er trotz vielversprechendem Start die Universität verlassen muss. Während seiner kurzen akademischen Karriere hat er allerdings noch einen soziologisch angehauchten Artikel verfasst, demzufolge die Menschheit in zwei Kategorien aufzuteilen sei: neben den „gewöhnlichen“ sieht er eine Klasse der „außergewöhnlichen Menschen“, die seiner Ideologie nach von überlegenem Wert sind und somit im Zuge einer größeren Weltordnung durchaus auch Verbrechen begehen dürfen – bis hin zu einem „erlaubten Mord“. Gerade als er sich mit ersten Gedanken in dieser Richtung trägt, erreicht ihn die Botschaft seiner Mutter, dass seine Schwester Dunja plant, den Rechtsanwalt Lushin zu heiraten – weniger aufgrund echter Zuneigung, sondern eher um der Familie die finanziellen Sorgen zu nehmen.
Das wertet Raskolnikow als Opfer nicht zuletzt um seinetwillen, was seine Verzweiflung und Radikalisierung immer weiter treibt. In einer Kaschemme lernt er schließlich den ehemaligen Beamten Marmeladow kennen, der dem Alkohol verfallen alles Geld durchbringt und seine Tochter Sonja in die Prostitution schickt. Nach einem Besuch bei Marmeladow, bei dem Raskolnikow nicht nur Sonja, sondern auch Marmeladows schwindsüchtige zweite Frau und ihre drei kleinen Kinder in ärmlichsten Umständen vorfindet, steht sein Entschluss fest: in einer Mischung aus ideologischen Gründen und Geldnot will er die gierige alte Pfandleiherin Iwanowna umbringen, deren Leben er als wertlos erachtet. Raskolnikows Plan schlägt allerdings fehl, da entgegen seiner Annahme auch die gütige Schwester der Wucherin zu Hause ist, worauf er auch diese mit einer Axt erschlägt, um keine Zeugen zu haben.
Mit einem Beutel voller Wertsachen gelingt ihm tatsächlich die Flucht, aber nach seiner Tat stürzt er, von Gewissensbissen geplagt, in einen Fiebertraum, während dessen ihn sein alter Studienfreund Rasumichin gemeinsam mit Raskolnikows mittlerweile angereister Mutter und Schwester gesund pflegt. Fortan fühlt sich der Täter im Gegensatz zu seiner hehren Ideologie ausgeschlossen von der Gesellschaft und ringt mit seinen Schuldgefühlen. Gleichzeitig macht der Ermittlungsrichter Porfirij keinen Hehl daraus, dass er von Raskolnikows Schuld überzeugt ist, auch wenn er ihm die Tat nicht nachweisen kann. So beginnt ein perfides, psychologisches Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem Täter und seinem Verfolger…
Was sich Bastien Loukia hier vorgenommen hat, ist nichts weniger als eine Herkules-Aufgabe: unter dem in Frankreich durchaus gängigen Titel „Crime et Chátiment“ (der dem durchaus vielschichtigen russischen Original wohl ebenso wenig gerecht wird wie der hierzulande bekanntere Übersetzungsversuch „Schuld und Sühne“) legt er die erste Graphic Novel-Adaption eines der bekanntesten Werke der Weltliteratur vor. Dostojewskis erster großer Roman, erschienen 1866, wurde fast schon unüberschaubar und mit schöner Regelmäßigkeit in andere Medien übertragen: von den fast schon obligatorischen Bühnen- und Hörspielfassungen kehrte das Material auch wiederholt auf der Leinwand wieder, darunter durchaus bemerkenswerte Exemplare wie „Raskolnikow“ aus der Hand des Caligari-Regisseurs Robert Wiene oder eine Version von Josef von Sternberg („Crime And Punishment“ mit Peter Lorre).
Die Geschichte des verarmten Studenten und seiner irregeleiteten Ideologie, aus der Nietzsches Übermensch (und übrigens auch Dostojewskis eigene Erlebnisse) an jeder Ecke grüßt, scheint in allen Zeiten Resonanz zu finden, was auch für Loukias künstlerisch ambitionierte Version gilt. Natürlich näherte er sich der Vorlage mit dem gebotenen Respekt: „Das Schwierigste, diesen fast 700 Seiten starken Roman zu adaptieren, bestand darin, die stärksten Szenen darzustellen und andere auszulassen, den Zugang zur Essenz zu finden, ohne dabei die dramatische und emotionale Kraft des Romans zu opfern.“ Diese Aufgabe meistert Loukia fulminant: in eindrucksvollen Episoden schildert er die zunehmende Isolation und schließlich die Wandlung des Protagonisten, wobei die Entwicklung schlaglichthaft oft auch in symbolträchtiger Inszenierung erscheint.
In Raskolnikows Alpträumen über seine Kindheit etwa lehnt sich Loukia bewusst an die Gemälde-Serie „Nachtmahr“ von Johann Heinrich Füssli an, die Passagen um die traumhafte Rückkehr an den Tatort gestaltet er ganz im abstrakt-symbolistischen Stil von Kasimir Malewitsch. Auch Nebenfiguren wie Sonja, Raskolinkows Schwester Dunja, die vom Triebtäter Swidrigailow umworben wird, und den Untersuchungsrichter Petrowitsch integriert Loukia wirkungsvoll ins Geschehen, womit eine werktreue, aber immer mediengerechte Version eines Klassikers entsteht, der nach wie vor nichts von seiner düsteren Wucht verloren hat. Bei Knesebeck erscheint der Band in gewohnt aufwändiger Aufmachung als 157-seitiges Hardcover. (hb)
Verbrechen und Strafe
Text: Bastien Loukia, nach Fjodor Dostojewski
Bilder: Bastien Loukia
160 Seiten in Farbe, Hardcover
Knesebeck Verlag
25 Euro
ISBN: 978-3-95728-442-6