Der alte Mann und das Meer (Knesebeck)

Juni 17, 2016

Der alte Mann und das Meer (Knesebeck)

Mensch gegen Fisch. Symbolik. Mensch gegen die Elemente und vor allem auch gegen sich selbst. So eingebrannt ins kollektive Bewusstsein ist die Geschichte des alten Fischers und seines einsamen Kampfes, dass eine Inhaltszusammenfassung eigentlich nicht nötig ist. Aber es ist eine der Eigenheiten dieser Novelle, dass man gegen jede Realität immer wieder hofft, sie gehe anders aus und sie immer wieder neu erlebt. Nun denn:

Im Kuba der 50er Jahre fristet der alte Fischer Santiago ein kärgliches Dasein, das Glück hat ihn verlassen, er hat seit Wochen nichts gefangen. Der kleine Manolin, der immer mit ihm hinausfuhr und ihn liebt wie den eigenen Großvater, ist von den Eltern auf ein anderes, erfolgreicheres Boot geschickt worden, das im Hafen von Havanna losfährt. Dennoch besucht der Junge den Alten jeden Tag, bringt ihm lange vor Tagesanbruch das Nötigste vorbei und leistet ihm abends Gesellschaft, wenn er in seiner Hütte die Baseball-Berichte aus der Zeitung von gestern liest. Immer wieder fährt Santiago hinaus, mit der sturen Hoffnung, endlich den ganz großen Fang zu machen, und nach all den Wochen scheint seine Pechsträhne zu enden: er hat etwas Massives an der Angel, an der Schnur, die er 100 Faden tief versenkt hat. Der Alte weiß sofort, mit wem er es zu tun hat: einem gigantischen Marlin, mit dem er nun über zwei Tage und Nächte ringt, während der Fisch ihn immer weiter in den Golf hinausschleppt. Schlaflos, gepeinigt von der Leine, die ihm die Hände zerschneidet, ohne Proviant verfällt Santiago in eine Art Delirium, fühlt sich dem Fisch immer verbundener und tötet ihn schließlich mit der Harpune. Aber der Kampf ist noch längst nicht beendet: auf dem Heimweg greifen Haie das Boot an und drohen, Santiago seinen großen Fang zu rauben…

Hemingways Novelle von 1952 – die letzte, die zu seinen Lebzeiten erschien – war in der kritischen Aufnahme kontrovers, beim Publikum erfolgreich und vor allem sicherlich sein bekanntestes Werk. Wie immer bei dem knorrigen Herren geht es um Religion (der alte Mann muss leiden wie Hiob), Literatur (die Jagd nach einem fast mythischen Meerestier, das kennen wir ja bestens aus Melvilles Moby Dick) und vor allem existentielle Fragen nach Leben und Tod. Aber auch die uramerikanische These, der Einzelne könne durch self-reliance und Kraft siegen und dabei noch der Allgemeinheit dienen, zieht sich durch das Werk, nicht zuletzt in der Verehrung des Alten für die Baseball-Legende Joe DiMaggio, der für diese Haltung symbolisch steht. Letztlich aber geht es um die Erkenntnis an Hemingways Lebensabend, dass die eigene Macht endlich ist, dass die eigenen Grenzen zu akzeptieren sind und man dennoch die Würde nicht verlieren sollte – „Ein Mann kann vernichtet werden, aber nicht besiegt“, diese These steht zentral am Ende von Hemingways erzählerischem Gesamtwerk.

Adaptionen dieser Novelle gestalten sich meist schwierig – die Verfilmung von 1958 mit Spencer Tracy scheiterte an einem viel zu textlastigen Voiceover, was in der Natur der Sache liegt: nicht umsonst stellte Filmpapst Leslie Halliwell fest, die Vorlage eigne sich für eine Verfilmung ungefähr so gut wie ein symbolistisches Gedicht (dass der Stoff allerdings durchaus auf der Leinwand funktionieren kann, zeigt die inhaltlich sehr ähnliche Geschichte „All Is Lost“ mit Robert Redford, die nahezu ohne Dialog auskommt). Für seine Comic-Fassung hingegen findet Thierry Murat den richtigen Schlüssel: er zeichnet großflächige, malerische Panels, die er mit einem in Schreibmaschinenschrift gehaltenen Text verbindet, den der Junge in einer Rahmenhandlung dem zuhörenden Hemingway berichtet. Der zeichnerische Stil erscheint kongenial an die Impressionisten angelehnt, die auch Hemingway selbst in Person Cézannes als Vorlage für seine in charakteristisch-kurzen Stakkato-Sätzen ausgeführten, in großen Schwüngen gehaltenen Beschreibungen der Szenerien hervorhob. Oft in Silhouetten, im Gegenlicht, in Teilausschnitten eingefangen, nähert sich Murat dabei der Figur des Alten, wobei die Atmosphäre in stimmiger Viragierung einfangen ist (die gleißende Sonne taucht alles in gelb, die Dämmerung ist tiefblau). Zentrale Szenen, wie das apokalyptische Auftauchen des Marlin, nehmen komplette Doppelseiten ein und erzeugen gewaltige Wucht, während die Fieberträume des Alten von seiner großen Zeit in Afrika symbolisch-überhöht dargestellt sind. Alles in allem eine stimmige, dem Medium Comic angeeignete Version einer Geschichte, die von ihrer Faszination und Allgemeingültigkeit nichts eingebüßt hat. (hb)

Der alte Mann und das Meer
Text & Bilder: Thierry Murat, nach Ernest Hemingway
128 Seiten in Farbe, Hardcover
Knesebeck Verlag
19,95 Euro

ISBN: 978-3-86873-927-5

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