Trauter Treff im Altherrenclub: ein Generaldirektor, ein Buchhalter, ein Advokat und ein gewisser Charlie (nicht Philip) Marlow sitzen um einen Mahagonitisch, rauchen Zigarren, nippen am Cognac und sinnieren über die guten alten Zeiten, als man noch zur See fuhr. Denn nur dort, so sinniert der Erzähler Marlow, mache man die wahre Erfahrung, erlebe echte Kameradschaft und werde zum eigentlichen Manne – auf Reisen, die „beispielhaft für dieses Leben stehen“. Seine Initiation erlebte der Gute als Zweiter Offizier an Bord der Judea, einem Teeklipper, der mit 600 Tonnen Kohlen ablegt in Richtung Osten, genauer gesagt nach Bangkok. Marlow fiebert diesem exotischen Ziel mit geradezu visionärer Begeisterung entgegen, aber die Reise scheint von Anfang an unter einem schlechten Stern zu stehen – da wirkt die Aufschrift auf dem Bug „Kämpfen oder Untergehen“ fast schon symbolisch.
Kaum ist man aus dem Londoner Hafen ausgelaufen, gerät die doch durchaus abgetakelte Schaluppe bald in einen schweren Sturm, den man nur mit Mühe übersteht. Ein Dampfer schleppt die Judea zurück nach Tyne, wo erst nach einiger Zeit neue Ladung aufnehmen kann. Beim erneuten Auslaufen rammt ein Dampfer die Judea und beschädigt sie so schwer, dass man weitere Wochen für die Reparatur benötigt. Endlich, drei Monate nach dem ersten Start in London, beginnt die Reise erneut, nur um wieder im Sturm zu enden. Schwer ramponiert, muss man wieder umkehren und das Schiff in Stand setzen lassen. Nach einer schier endlosen weiteren Wartezeit geht es endgültig auf Richtung Osten, was sich zunächst endlich erfolgreich anlässt – bis die gnadenlose Hitze die Ladung in Brand setzt. So beginnt für die Crew der Judea ein hartnäckiger Kampf gegen alle Elemente, der schließlich in der folgenschweren Entscheidung gipfelt, das Schiff oder das Leben zu verlieren…
Wie stets bei den Werken des englisch-polnischen Altmeisters Joseph Conrad geht es in „Jugend“ nur vordergründig um eine Schiffsreise. Den Erzähler Marlow kennen wir natürlich bestens aus seiner Fahrt ins „Herz der Finsternis“, wo eine Reise den Kongo hinauf zur Reise in die eigene Seele wird. Die fast schon trotzigen Versuche, den symbolischen Osten zu erreichen, stehen hier für das Erwachsenwerden, für die rituelle Initiation vom Knaben zum Mannsein, das archaischen Kulturen geläufig war, in der modern-technisierten Welt aber keinen Platz mehr hat und so Generationen orientierungsloser Männer produziert, die politisch korrekt, aber vollkommen ohne urtypische männliche Energie durchs Leben wanken (was der Damenwelt dann auch wieder nicht gefällt, fügt Beziehungsberater Dr. Bachmaier gerne hinzu).
Wortwörtlich steht der Osten bei Conrad für das Neue, Exotische, das den Erzähler ganz am Ende doch noch in die Arme nimmt, auch oder gerade weil auf dem Weg hin das Vehikel, die symbolische Judea, untergeht. Diese zutiefst existenzielle Entwicklung setzt Till Lenecke (seines Zeichens Kindergärtner, Matrose und Briefzusteller) in den wesentlichen Eckpunkten um, die er einerseits skizzenhaft, andererseits sehr detailliert vor allem den Schiffsansichten ausführt – ganz offenkundig ein Steckenpferd des Künstlers (siehe auch sein Erstling „Auf Kaperfahrt mit Störtebeker“, ebenfalls im Hinstorff Verlag erschienen), der eine akribische Riss-Zeichnung des Schiffs beifügt. Somit erneut ein stimmiger Beitrag zum Kanon von literarischen Comic-Adaptionen aus dem Hinstorff-Verlag. (hb)
Jugend
Text: Till Lenecke, nach Joseph Conrad
Bilder: Till Lenecke
144 Seiten in Farbe, Softcover
Hinstorff Verlag
20 Euro
ISBN: 978-3-356-02235-3