Androiden, Band 4 (Splitter)

September 17, 2018

„Folgend auf eine relativ ruhige Phase wird die Beziehung meiner Besitzer wieder inniger“. So konstatiert der Androide Kielko, eine Art Butler und Mädchen für alles, sachlich-nüchtern das handgreifliche Geschehen im Schlafzimmer, das er von seinem Aufladeplatz aus zumindest teilweise mitbekommt. In der Tat scheint alles in bester Ordnung bei Grady Morgan und seiner Frau, einem Powerpärchen, das im Los Angeles des Jahres 2037 in der Kunstszene als Galeristen einiges an Erfolg und Einfluss genießt. Zum trauten Familienglück gehört auch Sohn Kylian, der mit Kielko bestens befreundet ist und mit ihm hochphilosophische Diskussionen darüber führt, was genau denn nun der große Unterschied zwischen Mensch und Android sei.

Kielko strebt danach, seinen Besitzern so ähnlich wie möglich zu werden: als Mrs Morgan sich an einem Messer schneidet, vollzieht er dies ebenso nach wie die ganz und gar nicht naiv-getreulichen Aktivitäten seines Herrn. Der nutzt nämlich die vielen Dienstreisen seiner Frau fröhlich zu außerehelichen Techtelmechteln, bei denen ihn Kielko prompt erwischt – worauf Grady schlicht und ergreifend befiehlt, die jeweilige Erinnerung zu löschen. So selbstsicher ist Grady, dass er seinen Diener sogar mit in ein Vergnügungsviertel nimmt, wo er einem zwielichtigen Anwalt Schweigegeld für eine Geliebte, die auf dumme Gedanken gekommen ist, übergibt, worauf Kielko beginnt, sich in den Etablissements umzusehen. Immer näher versucht der Androide den Menschen zu kommen, bis er sich in einen Strudel aus Perversion und Gewalt verstrickt sieht…

„Ein Roboter ist nicht ganz und gar Maschine. Ein Roboter ist eine Maschine, die gebaut wurde, um das menschliche Wesen so gut wie möglich zu imitieren.“ Dieser Satz aus dem Roman „Der Aufruhr“ aus der Serie Robot City, bei der verschiedenste Autoren Geschichten rund um Asimovs „Drei Gesetze der Robotik“ entwickelten, bildet den Dreh- und Angelpunkt des vierten und letzten Bandes des Androiden-Quartetts. Jean-Charles Gaudin (u.a. „Es war einmal der Mensch“) geht hier eben jenen Fragen der Identität und des innersten Wesen der Existenz nach, die auch Jonathan Nolan in seiner herausragenden Aktualisierung von Michael Crichtons „Westworld“ als TV-Serie stellt: kann sich aus einem „Supercomputer auf zwei Beinen“, als den sich Kielko selbst bezeichnet, ein Wesen mit Bewusstsein und somit eigener Identität entwickeln? Unliebsame Beobachtungen und Erinnerungen Kielkos werden wie im Vergnügungspark von Delos kurzerhand aus der Datenbank gelöscht, bleiben aber dennoch als dumpfe Resonanz im elektronischen Unterbewusstsein.

Fasziniert versucht Kielko, logisch-rationale Erklärungen für Emotionen und die unweigerliche Abnutzung menschlicher Beziehungen zu finden und körperliche Funktionen wie Blut, andere Flüssigkeiten und sexuelle Attraktion (durchaus lasziv inszeniert von Viska, der mit diesem Band sein Debut liefert) nachzubilden. Dass er damit letztlich vollkommen in die Irre gerät, unterstreicht die Doppelbödigkeit des menschlichen Tuns und die uralte Frage nach der Verantwortung, die auch in beiden „Blade Runner“-Visionen anklingt: wenn es wirklich möglich wäre, künstliche Intelligenz zu erschaffen, wäre es zu verantworten, sie in moderner Sklaverei lediglich als unterwürfige Diener zu nutzen, oder müsste diese neue Lebensform nicht unweigerlich ein Bewusstsein entwickeln und letztlich unvermeidlich in Konflikt mit ihren Schöpfern geraten? In einer Gegenwart, in der man ernsthaft über intelligente Haushaltsmaschinen diskutiert und nicht wenige für vermeintliche Bequemlichkeiten vollständig vernetzt alle persönlichen Daten preisgeben, scheint das weit weniger Science Fiction als zu Zeiten, als Isaac Asimov die „Laws of Robotics“ definierte. Weitsicht war eben stets das Kennzeichen guter utopischer Literatur. (hb)

Androiden, Band 4: Kielkos Tränen
Text: Jean-Charles Gaudin
Bilder: Viska
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
15,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-571-8

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