Magdas Apokalypse (Splitter)

November 16, 2017

Erwachsenwerden, das ist ja immer irgendwie schwierig. Zoff mit den Eltern, Entfremdung, der Körper spielt verrückt, man kennt die Chose aus eigener Erfahrung und von den lieben Nachkommen. Aber das gibt sich mit der Zeit, und irgendwann kommt man als halbwegs vernünftiges Wesen aus dieser Phase wieder heraus. Wenn man dazu die Zeit hat. Und genau das ist Magdas Problem: sie ist 13 – und dann verkündet ihr Schulleiter mit ernster Miene, dass in einem Jahr die Welt untergehen wird. Die Forscher lassen keinen Zweifel: gewaltige Naturkatastrophen werden die Zivilisation, wie wir sie kennen, hinwegfegen. Während man in der Schule versucht, halbwegs den Schein zu wahren, beginnt sich die gewohnte Ordnung aufzulösen: Magdas Vater verlässt die Familie, in der er sich nur noch gefangen fühlt, um mit einer anderen Frau sein Glück für die verbleibende Zeit zu finden. Magda kommt sich bitter um alle Chancen betrogen vor und beschließt ihrerseits, den Rest ihres Lebens bestmöglich zu nutzen.

Sie macht mit ihrem Schwarm Leon, der erst mal mit dem Rauchen anfängt (die früheren Warnungen, das schade der Gesundheit, wirken angesichts der Sachlage in der Tat reichlich absurd), erste erotische Erfahrungen. Ihre Mutter ergeht sich einstweilen in Selbstmitleid und dem verzweifelten Versuch, alte Strukturen und Prinzipien zu wahren – und Magda gerät darüber immer öfter mit ihrer Schwester Natascha aneinander. Auch Magdas Freundin Julie zeigt sich tief gekränkt über die vermeintliche Geheimnistuerei, während ihre Eltern auf einen esoterischen Selbsterfahrungstrip gehen. Die Monate verstreichen, die Ordnung bricht immer mehr zusammen, und auch Magdas Welt gerät zunehmend aus den Fugen, als ihr Vater das Land verlässt und Leon drogenabhängig wird. Da macht sie Bekanntschaft mit Silvere, einem Bonvivant, der in einem Schloss residiert und das Chaos nutzt, um sich ungestört an Geld und Schmuck der verlassenen Häuser zu bedienen, den ehemaligen Wertsachen, die zunehmend leere Symbole werden. Schließlich kommt es zum endgültigen Bruch mit ihrer Familie…

In diesem intensiven Szenario beleuchtet Chloé Vollmer-Lo, die hier ihre erste Graphic Novel vorlegt, eine beklemmende Variation der gerne gestellten Frage: was würdest Du tun, wenn Du noch ein Jahr zu leben hättest? Die auf der Hand liegenden, sozial akzeptablen Antworten – jeden Tag genießen, den Bausparvertrag kündigen, nur noch mit den Lieben zusammen sein etc. – werden hier konterkariert durch eine bittere Sicht auf die allzu menschliche Natur. Magda fühlt sich ihres Lebens und ihrer Jugend beraubt und empfindet die für ihr Alter geltenden Regeln nur noch als Betrug und Unterschlagung der geringen Zeit, die ihr noch bleibt. Dabei agiert sie durchaus widersprüchlich: selbst reklamiert sie für sich die vollkommende Freiheit von allen Bindungen und Konventionen, gleichzeitig konfrontiert sie ihren Vater auf der Straße mit bittersten Vorwürfen, er laufe vor seiner Verantwortung weg.

So treibt diese Geschichte den klassischen Generationskonflikt auf die Spitze, indem der natürliche Ausweg – die Zeit biegt alle Irrwege irgendwann gerade – radikal aus der Gleichung nimmt. Fern von jedem Emmerich-Katastrophen-Duktus wird der Weltuntergang, der schon in Wells‘ „Krieg der Welten“ zur Bloßlegung der zutiefst primitiven menschlichen Züge wie Überlebensdrang und Recht des Stärkeren führte, somit zur höchst persönlichen Apokalypse und überhöht das Trauma des Erwachsenwerdens in wahrlich existenzielle Dimensionen. Ein faszinierendes, bedrückendes Lese-Erlebnis, an dessen Ende man sich fragt: was würdest Du denn nun wirklich tun? (hb)

Magdas Apokalypse
Text: Chloé Vollmer-Lo
Bilder: Carole Maurel
192 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
24,80 Euro

ISBN: 978-3-96219-026-2

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