Suzie und Jon tun es. Immer noch. Denn immer noch bleibt buchstäblichen die Zeit stehen, wenn sie sich miteinander vergnügen, und sie bedienen sich in diesen Momenten immer noch sehr großzügig bei Finanzinstituten aller Art. Aber das wunderbare Konstrukt zeigt langsam aber sicher Risse. Denn längst haben Suzie und Jon festgestellt, dass sie entgegen ihrer früheren Annahme nicht die einzigen sind, die in die „Refraktärphase“ – also den kompletten Stillstand – eintreten können. Auch die Dozentin Dr. Ana Kincaid, eine ehemalige Darstellerin in, räusper, Filmen für Erwachsene, tritt während des Höhepunktes buchstäblich aus sich heraus, ist allerdings zutiefst entsetzt, als Jon und Suzie ihr die kriminellen Machenschaften eröffnen, für die sie ihre Begabung nutzen.
Ein Hinweis aus geschmuggelten Akten der Sexpolizei, denen sie in Band 2 entfliehen konnten, führt Suzie und Jon auf die Fährte eines Altenpflegers, der in seinem zurückgezogenen Ewiger Junge-Dasein (wohnt daheim, pflegt die Mutter, hat keine Freundin) des Nächtens eine ganz spezielle Freude pflegt: immer wenn er sich per Handbetrieb beglückt, erscheint ihm eine Art perverser Manga-Fee. Als die Zaungäste Jon und Suzie den entfernten Artgenossen in Augenschein nehmen wollen, verfolgt sie die Ab18-Version von Lilifee rabiat und nimmt anschließend Kontakt zu einer asexuellen jungen Dame auf, der es gar nicht gefällt, dass jemand in ihr Terrain der absoluten Stille eindringt. Und dann ist da noch die Sexpolizei, die in Form ihrer Chefin Myrtle den beiden gar nicht mehr so unbeschwerten Dieben immer näher auf die Pelle rückt. Die macht sich nämlich lasziv-perfide an Jons Psychiater Dr. Glass heran und lässt sich vom guten Doktor in seiner Praxis einer intensiven Leibesvisitation unterziehen, während sie dabei (gesegnet mit den gleichen Fähigkeiten wie die beiden Robin Hoods) in aller Seelenruhe Jons Akten klaut, um endlich Beweise in der Hand zu haben…
Was als vielschichtiger Kommentar über Erotik, Geschlechterrollen und gesellschaftliche Zwänge begann, das gerät in den Händen von Hawkeye-Autor Matt Fraction und Zeichner Chip Zdarsky zunehmend zum postmodernen Gerne-Spiel. Parallel laufen da die Erzählstränge nebeneinander her, fast schon episodisch dominieren in den einzelnen hier versammelten Heften unterschiedliche Protagonisten und Handlungselemente (Jon leidet da unter der Gefangenschaft durch die Sexpolizei, Suzie will eigentlich keine Banken mehr überfallen, in den rein utilitaristischen Gebrauch der Erotik mischen sich echte Gefühle – geboten ist wahrlich genug). Dabei mischen sich parodistische Züge (wunderbar die versaute Fassung einer Manga-Prinzessin, die in Anime-Kauderwelsch Obszönitäten ausspuckt und das nackte [sic] Grauen im Automaten-Höschen mit sich führt) mit genüsslicher Dekonstruktion der fiktiven Konventionen: schon in Band 1 setzte Fraction anstelle des eigentlich geplanten Zitats des Queen Songs „Fat Bottomed Girls“, für das er keine Genehmigung bekam, in Post-Its eine Diskussion über die Copyright-Thematik.
Dieser Kunstgriff wird nun zum dauerhaften Stilmittel – sei es als Überblendung von Teilen einer Unterhaltung, die Suzie langweilt, oder als ausgeschwärzte Panels, in denen Fraction lieber in Prosa kurz den Inhalt erklärt als den Leser mit unnötigen zeichnerischen Ausführungen anzuöden. Das Medium Comic reflektiert Fraction als Subtext permanent, bis hin zum Einstieg der Schöpfer selbst in ihr eigenes Werk: in einem kleinen Intermezzo ruft Fraction seinen Zeichner Zdarsky an und klagt sein Leid, dass er mit der Story nicht mehr klarkomme. So entsteht ein facettenreiches Vexierspiel mit komplexen Erzählmustern, in dem es mindestens ebenso sehr um das Medium und seine dominanten Motive wie um die zunehmend deftige Handlung geht. Quasi eine Art Meta-Ebene für Erwachsene, wenn man so will. Wie in aller Welt das verfilmt werden soll (offenbar gibt es Pläne für eine TV-Serie), sei dahingestellt. Der vorliegende Band enthält die US-Ausgaben „Sex Criminals“ 11-15 und wurde im Übrigen aus dem Apple-Download-Store entfernt. Das war wohl doch zu viel für die hornbebrillten Nerds. (hb)
Sex Criminals – Guter Sex zahlt sich aus, Band 3: Ein Dreier kommt selten allein
Text: Matt Fraction
Bilder: Chip Zdarsky
132 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
16,99 Euro
ISBN: 978-3-95798-728-0