Jetzt befinden wir uns in einem kleinen Dilemma: ‚Heiligtum‘ ist eine dreiteilige Serie von Christophe Bec und Xavier Dorison. Der Auftakt von ‚Heiligtum Genesis‘ stellt nun eine Art Prequel dazu dar (wenngleich die Bezeichnung nicht genau zutrifft, siehe weiter unten). Der Reiz bzw. der Clou an ‚Heiligtum‘ war einerseits das mächtige Mysterium, das es aufzuklären galt und andererseits die großartig in Szene gesetzte klaustrophobische, Unheil dräuende Atmosphäre, die sich durch jedes Panel zog. Wer jetzt also diesen Band liest und die Stammreihe noch nicht kennt, der erfährt schlichtweg zu viel. Ganz einfach. Daher unser Rat: erst ‚Heiligtum‘ 1-3 lesen (gibt’s auch ganz handlich im passenden Schuber) und DANACH erst dieses Prequel (wir versuchen hier auch so wenig wie möglich zu verraten). Seltsam, aber so steht es geschrieben.
Syrien, 1220: der deutsche Bischof Konrad von Wittelsbach findet den Eingang zu einem Tempel der Ugariten. Darin soll sich etwas befinden, das für den Ausgang des Konfliktes zwischen Christen und Muselmanen von entscheidender Bedeutung sein kann. Doch die den Bischof eskortierenden Kreuzritter finden allesamt einen schrecklichen Tod, während Konrad nur knapp entkommt und dem Wahnsinn anheimfällt. 1934, Jahrhunderte später, entdeckt ein Bauer zufällig Teile des möglicherweise gleichen Tempels. Die Kunde gelangt zum französischen Archäologen Delorme, der nach Spuren der Ugariten sucht (Ugarit war ein reicher Stadtstaat im zweiten Jahrtausend vor Christus) und von dem Fund völlig begeistert ist. Er macht sich sogleich an die Arbeit und ignoriert dabei geflissentlich die seltsamen Dinge, die rund um die Ausgrabung geschehen.
Auch die Nazis erfahren von dem Fund. Und anders als Delorme, den wissenschaftliche Motive antreiben (und der dabei ein reicher Entdecker werden will), kennen die Deutschen die Aufzeichnungen Konrad von Wittelsbachs und sind wie er damals an dem Inhalt des Ortes interessiert. Und daran, wie man diesen als Waffe einsetzen kann. Daher ‚kapern‘ sie die Ausgrabungsstätte und setzen Delorme, der inzwischen seine unzufriedene (und unbefriedigte) Frau Marlene zu sich geholt hat, den jüdischen Wissenschaftler Professor Kämper zur Seite. Das Kommando hat der deutsche Offizier Leutnant Klause inne, der den typischen Klischee-Nazi gibt. Eine Atmosphäre der Spannung entsteht, da keiner dem anderen traut und nur das gemeinsame Ziel die Männer (und die Frau) antreibt…
Im Gegensatz zum dreiteiligen Erstling, bei dem sich der ultimative Schrecken nach und nach entwickelt und sich erst am Ende in völliger Tragweite offenbart, wissen wir hier im Prequel bereits von Anfang an, wie der Hase läuft. Wobei es eigentlich gar kein echtes Prequel ist, denn das Heiligtum existiert bereits seit Jahrtausenden und damit auch dessen verstörender Inhalt. Eigentlich sehen wir hier die ‚nur‘ die erste Erforschung des riesigen Komplexes durch von Nazis kontrollierte Wissenschaftler. Dabei wird einmal mehr die Affinität der Nazis zu Übersinnlichem und Okkultem bemüht und damit die Suche nach der ultimativen phantastischen Waffe. Kennen wir aus Filmen wie Hellboy, Indiana Jones oder auch Captain America.
Aufgrund des veränderten Settings – das Gros der Handlung spielt außerhalb des Heiligtums, das es noch zu erforschen gilt – entfallen zwangsweise die klaustrophobische Grundstimmung und die dadurch erzeugte Spannung der Hauptserie. Weshalb man die Story mit anderen Elementen anreichert und würzt: politische, zwischenmenschliche Reibereien zwischen den Wissenschaftlern. Mißtrauen. Neid. Und auch eine Femme Fatale, die sich weigert, als Eigentum ihres Mannes betrachtet zu werden und die folglich dann auch ganz unverhohlen opportunistisch sowohl die Seiten, als auch die Betten wechselt. Was die Spannungen unter den Männern nicht gerade mindert. Und nebenher, ganz langsam, braut sich das Unheil zusammen, Anflüge von Wahnsinn, was mit der Stätte, dem Heiligtum, zusammenhängt. Immer wieder ist es die Gier nach Macht, die die Menschen ins Verderben treibt und so harren wir erwartungsvoll auf den abschließenden Band 2, der in Frankreich gerade erschienen ist, und der womöglich mit einer Katastrophe aufwartet, die sich gewaschen hat. (bw)
Heiligtum Genesis, Band 1:
Text: Christophe Bec, Philippe Thirault
Bilder: Stefano Raffaele
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
14,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-215-1