Millionenerbe, verwöhnt, verantwortungslos, Playboy, strandet auf einsamer Insel. Wird dort, um zu überleben, zum meisterhaften Bogenschützen, sinnt über sein Leben nach und kehrt geläutert in die Zivilisation zurück. Fortan bekämpft er als moderner Rächer der Enterbten das Böse und tritt sogar einer Truppe von gleichgesinnten bei, die gemeinsam für die Gerechtigkeit sorgen wollen. Soweit, so bekannt: diese Kombination aus Robin Hood und umgedrehtem Aschenputtel kennen wir bestens als Origin-Story des Oliver Queen, des einzig wahren grünen Bogenschützen Green Arrow. Im Laufe der Jahre fügten sich immer wieder Ecken und Kanten hinzu, er wurde mit seinem Kumpel Grüne Leuchte Ende der 60er zum sozialkritischen hard travelling hero, lebte mit der zauberhaften Blitzschwalbe in einer nicht immer einfachen Beziehung zusammen und verlor irgendwann sein ganzes Vermögen.
Was allerdings Jeff Lemire (u.a. Animal Man) dem maskierten Vigilanten im Rahmen des neuen DC-Universums antut, das spielt in einer gänzlich anderen Liga. Oliver Queen sieht sich hier nämlich damit konfrontiert, vom Jäger plötzlich zum Gejagten zu mutieren: ein ebenfalls vermummter, mysteriöser Bogenschütze namens Komodo macht gnadenlose Jagd auf ihn, der nicht weniger geheimnisvolle Blinde Magus rettet ihm dabei den Hals, ergeht sich aber in Andeutungen über die wahre Herkunft des Pfeils. Ehemals Vertraute entpuppen sich unversehens als Bedrohung, Queen Industries mitsamt den Mitstreitern Henry Fyff und Naomi wird dem Erdboden gleichgemacht, und Queen verschwindet in der Versenkung. Immer angeleitet von Magus, nimmt er die Fährte des Pfeilclans auf, der auf der Jagd nach diversen Artefakten ist, um damit im bevorstehenden Krieg der Outsider die Macht an sich zu reißen. Der Weg führt in dabei nach Vatlava, wo er sich nicht nur dem grimmen Count Vertigo (der Name ist Programm!), sondern auch der holden Shado gegenübersieht, die ihn auf seiner Suche immer weitertreibt – bis hin zur einsamen Insel, auf der er einst als Gestrandeter ums Überleben kämpfen musste und sich zum Helden wandelte. Das allerdings, so muss Queen sich zunehmend eingestehen, war alles andere als Zufall: die Insel beherbergt das Heiligtum des Pfeilclans, jenen ultimativen, grünen Pfeil, der die umfassende Macht birgt. Und aus eben diesem Grund wurde der junge Queen ganz bewusst auf das Eiland verfrachtet, um dort durch Entbehrung und Qual ganz absichtlich zum Kämpfer für den Clan gestählt zu werden – und zwar von einem ihm durchaus nahestehenden, längst tot Geglaubten…
War der Grüne Pfeil den in den 70ern eine kaum kaschierte moderne Robin Hood-Figur mit Zwirbelbart und Federmützchen, gerät er hier – motiviert durch den beachtlichen Erfolg der US-TV-Serie Arrow, die auch einen dunklere Version des Charakters darbietet – zu einer Figur, deren Komplexität und Finsternis den modernen Ausgaben des neuen DC-Universums bestens entspricht. Die Historie, die ihm Jeff Lemire angedeihen lässt, verleiht dem respektlosen, gerne auch systemkritischen Ollie (in your face, occupy-Freds!) der 70er eine existentielle, gravitätische Note – sein Leiden erscheint in einem größeren Kontext, sein Vorgehen radikaler, seine Entwicklung in der unfreiwilligen Isolation nicht als Läuterung, sondern zum guten Teil als Entmenschlichung und Radikalisierung. Die Bruderschaften, die seine Welt bedrohen, tragen nicht umsonst Züge fundamentalistischer Bewegungen, was eine beunruhigende Aktualität ins Geschehen bringt.
Wo in der Feder von Neal Adams noch Gesellschaftskritik, Sarkasmus und teilweise auch dunkler Humor stand, wird Queen in den Händen von Lemire zum nicht nur äußerlich Getriebenen, der sich mit dem Zusammenbruch von allem konfrontiert sieht, das ihm nahe war. Diesen apokalyptischen Trip inszeniert Andrea Sorrentino wie schon Ich, der Vampir teilweise leicht, teilweise stärker stilisiert, in bisweilen fast schon psychedelischen Panels, in denen die traditionelle Bildabfolge durchbrochen wird, um Rasanz, aber auch Sinnverwirrung und seelisches Leiden optisch umzusetzen, was sich mit der Erzählwucht zu einer furiosen Mischung verbindet.
Der vorliegende zweite Megaband vereint auf 330 Seiten insgesamt 15 US-Green Arrow-Ausgaben und bietet die Storylines The Kill Machine, Shados und The Outsiders War, die im Original von April 2013 bis Juli 2014 erschienen. Ein wahrhaft fettes Vergnügen, das nicht zuletzt darauf abzielt, auch neue, durch die TV-Serie neugierig gewordene Leserscharen zu gewinnen und somit für einen Einstieg bestens geeignet ist. Das trifft, einmal muss das Wortspiel erlaubt sein, voll ins Schwarze. (hb)
Green Arrow Megaband 2: Krieg der Outsiders
Text: Jeff Lemire
Bilder: Andrea Sorrentino
332 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
28 Euro
ISBN: 978-3-95798-080-9