Nirvana (Splitter)

Oktober 21, 2014

Nirvana (Splitter)

Nirvana! Das ist nicht nur der Name einer bemerkenswerten Musikkombo, sondern das bezeichnet vor allem in der buddhistischen Lehre das oberste Ziel, nämlich den Ausbruch aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburt und Eintritt in einen Zustand der vollkommenen Seligkeit, des buchstäblichen Erlöschens, nebst Aufgabe sämtlicher allzumenschlicher Eigenheiten wie etwa Egoismus oder Gier. Das bietet sich natürlich bestens an für eine neue Designer-Droge, die in einem futuristischen London des Jahres 2046 urplötzlich auftaucht und sofort ihren Siegeszug antritt. Zu verlockend sind die Aussichten auf den ultimativen Trip, mit dem man sich buchstäblich in Glückseligkeit auflösen und dann zurückkehren kann – mit teilweise eher oberflächlich wieder zusammengefügten Körperteilen, aber das hält die meisten nicht ab, die Wahnsinnsfahrt zu probieren. Die ist natürlich zutiefst illegal, weshalb die Regierung den Konsumenten nicht nur Polizisten wie Hurley Judd auf den Hals hetzt, sondern auch durchaus unverständige Kampfroboter, die so genannten Blaster, die jeden umpusten, der auch nur Spuren von Nirvana im Körper trägt.

Judd hat dabei noch ganz eigene Sorgen: seine Angebetete Mya hält ihn für einen rechten Waschlappen und provoziert ihn wo sie nur kann, nicht zuletzt indem sie fröhlich dem Drogenrausch frönt (Dr. Bachmaiers Beziehungsberatung, neue Folge: sofort weglaufen!!). Der Chef der Geheimpolizei, Special Agent Desmond, sieht allerdings Judds Potenzial und lässt ihm von seinem Techniker Charly (Q lässt grüßen!) einen waschechten Iron Man-Anzug schmieden, mit dem es Judd tatsächlich gelingt, die Quelle der Drogen zu orten: einen Computer namens Shamash, der von sich behauptet, absichtlich die Mutationen herbeizuführen, um der Menschheit die Augen zu öffnen. Shamash hat sich dazu angeblich auch Mya unter den Nagel gerissen, wobei sich bald herausstellt, dass bei einem gemeinsamen Drogenexperiment der geplagte Harvey und seine Hübsche verschmolzen sind…

Teil 2, Generation 2: ein Raumer stürzt auf dem feindseligen Planeten Equinox ab. Zufall? Ganz und gar nicht – die Ladung besteht aus versteckten Mutanten, Kindern von Nirvana-Konsumenten, die der mittlerweile an die Macht gekommenen faschistoiden Regierung gefährlich werden könnten, die der Untergrundbewegung daher gerne ihre allgegenwärtigen Blaster auf den Hals hetzt. Die Mutanten schlagen sich auf Equinox mehr schlecht als recht durch, überwältigen sogar trotz allerlei heimischem Kroppzeug den Blaster und entnehmen ihm die Prise Nirvana, die jeder Maschinenpolizist zum Kompromittieren unliebsamer Zeitgenossen bei sich trägt. Das legt eine ganze Serie von Mutationen frei – so etwa kann ein Flüchtling die Eigenschaft jeder Materie annehmen, die er berührt, eine andere Dame kann Energiefelder erzeugen, und ein mysteriöses Zwillingspaar, von dem schon in Prophezeiungen die Kunde ging, ist ebenfalls mit von der Partie. Es dauert nicht lange, bis sich der alte Agent Desmond als Anführer der Widerstandsbewegung entpuppt, man einen feindlichen Kopfgeldjäger in den Reihen enttarnt, sich einer ganzen Armada von Blastern gegenübersieht – bis auf einmal in einer überraschenden Wendung alles doch ganz anders kommt: eine gestaltwandlerische Alien-Rasse namens Tracer hat es auf die Menschheit abgesehen, und es ist allein an den Messias-Mutanten, sie aufzuhalten…

Was Jean-Luc Istin (Die Druiden, Lancelot u.a. – ebenfalls bei Splitter) hier kredenzt, ist eine wunderbare Hommage an unsere Lieblingshelden aus dem Marvel-Universum – die Iron Man-Verneigung wird direkt und ohne Umschweife angesprochen, und der einzige, der zur Mutanten-Schule noch fehlt, ist ein gewisser kahlköpfiger Rollstuhlfahrer. Dazu schauen noch antiutopische Züge in bester Judge Dredd-/Robocop-Manier vorbei, als sich der angebliche Schutz des Bürgers sehr schnell als kaum kaschierte Diktatur herausstellt, in der die Rechte des Einzelnen dem Wohl des Staats allzu wohlfeil geopfert werden. Das Ganze ist vermengt mit einem Schuss Mythologie und Heilsglauben, Transzendenz und einem Sternenkind, das – auch wenn ein Zwilling – mehr als eindeutig im Gefolge des psychedelischen Endes von Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum steht. Somit erwartet jeden Science Fiction Freund hier ein vielschichtiges, schmissiges Abenteuer, bei dem allenfalls das Ende ein wenig arg konstruiert um die Ecke biegt. Passend krachig inszeniert von Arnaud Boudoiron, kann man der gesamten Story folgen, da Splitter die beiden Teile in einer Double-Edition unters Volk wirft. (hb)

Nirvana
Text: Jean-Luc Istin
Bilder: Arnaud Boudoiron
120 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
22,80 Euro

ISBN: 978-3-86869-731-5

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