
Schöne neue Welt? Eher umgekehrt: für den angeblichen Mord an seiner Frau brummt man Jared Nesky 70 Jahre auf – und zwar nicht im Knast, sondern auf einer eigens geschaffenen Müll-Deponie im All, wohin man seit einigen Jahren den Abfall von der Erde verfrachtet. Die gewaltige Konstruktion besteht aus mehreren Ebenen, man recycelt von Hand und fackelt den Rest ab. Der sadistische Leiter Spinner regiert mit eiserner Hand. Willkür und Mord sind an der Tagesordnung. Der Neuling Jared freundet sich mit alten Hasen Ben Steering an, der ihm wichtige Überlebenstipps gibt und ihm die Hoffnung nimmt, dass er seine Tochter Kate, die auf der Erde von Jugendamt betreut wird, jemals wiedersieht.
Als es eines Tages zu einer Schießerei in den Umkleidekabinen kommt, überstürzen sich allerdings die Ereignisse. Spinners rechte Hand Xi-Chen und der Gefangenenchef Markus zetteln einen Umsturz an und wollen die Erdregierung erpressen: falls man ihren astronomischen Geldforderungen nicht nachkommt, wollen sie die Raumstation Richtung Erde steuern und den ganzen Giftmüll dort niedergehen lassen. Im Getümmel gelingt es Jared und Ben, sich einige Waffen unter den Nagel zu reißen, mit denen sie sich zur Kommandozentrale durchschlagen. Dort nehmen sie ihrerseits mit der Erde Kontakt auf und schlagen einen Deal vor: sie bieten an, die Raumstation wieder vom Kollisionskurs abzulenken – sofern man ihnen im Gegenzug dazu Straffreiheit zusichert…
Anti-Utopie, Negativ-SF, Verschmutzungsvisionen: das sind ja eigentlich Kennzeichen der krisengeschüttelten 70er, allen voran mit dem grimmen Untergangsszenario Soylent Green, in dem die Erde in Überbevölkerung und Müll erstickt, oder auch Silent Running, wo man nicht den Schrott, sondern die letzten Wälder ins All schickt. Dass man Abfall ganz einfach ins All schicken kann, an dieser Idee scheiden sich die Geister bis heute – und Autor Marcello Bondi (Diabolik, Tex) fügt noch eine Dimension hinzu. Die Mülldeponie in All ist nichts anderes als ein extremes Straflager, in dem Häftlinge gezwungen werden, in lebensgefährlichen Umständen die Reste des Wohlstands der Erde zu beseitigen.
Spinner gibt dabei den sadistischen Lagerkommandanten, den es in jeder Machtsituation unweigerlich gibt, ebenso wie den Putsch der eigenen Helfershelfer, die aus der Sache Kapital schlagen wollen. Mit den handgreiflich aufmuckenden Jared und Ben kommt außerdem noch ein wenig Die Hard-Atmosphäre in die Sache, die Zeichner Stefano Bonora schmissig und auch durchaus drastisch in Szene setzt. Dass am Ende (Spoiler ahead) auf der Erde noch ein gewaltiger Twist lauert und der Mord an Jareds Frau durchaus anders ablief als es den Anschein hat, das fügt sogar noch eine Prise Schwarze Krimi-Serie hinzu. Ins Programm des kleinen, aber feinen Margravio-Verlags passt dieser Titel wunderbar, liegt der Fokus doch auf anspruchsvollen, gerne auch mal gesellschaftskritischen Graphic Novels, die es wert sind, entdeckt zu werden. Der Band erscheint als schmuckes Hardcover mit einem ausführlichen Skizzen-Anhang, ist aber auch in einer Softcover-Variante erhältlich. (hb)
Der Abfall – Die Revolte im Orbit
Text & Story: Marcello Bondi, Marco Emilio Banaccini
Bilder: Stefano Bonora
80 Seiten in Farbe, Hardcover
MarGravio Verlag
21 Euro
ISBN: 978-3-910932-11-1