
Lange nach der Katastrophe, die nur noch eine diffuse Erinnerung ist und die man „Sieben Tage des Feuers“ nennt: Die Welt ist dünn besiedelt. So leben gerade einmal fünfhundert Menschen im „Tal der Winde“, das dennoch ein eigenständiges Land, ein kleines Königreich, ist. Die junge Nausicaä ist die Tochter des kranken Königs Jiru und soll dessen Nachfolgerin werden. Sie ist beliebt, unternehmungslustig und mutig. Doch die Idylle im bäuerlichen Tal der Winde trügt massiv. Denn praktisch vor den Toren des kleinen Landes breitet sich das Übel aus, das man „Meer der Fäulnis“ nennt. Das Problem: die Dschungel-artige Pflanzen- und Pilzwelt des Meers der Fäulnis stößt unablässig blankes Gift aus, das Miasma, das tödlich für Menschen ist, so sie denn keine Maske tragen. Und: riesige Insekten leben dort – eine weitere tödliche Gefahr.
Trotzdem erkundet die naturverbundene Nausicaä gerne dieses gefährliche Gebiet, das nach und nach ganze Dörfer verschlingt. Dabei stößt sie auf einen Ohmu, ein gigantisches Insekt mit 14 Augen, dessen Aussehen an Kellerasseln erinnert. Nausicaä rettet Meister Yupa, ihren alten Lehrer, vor dem wütenden Tier. Bald danach droht Krieg. Wu, der König des mächtigen Reiches von Torumekia, will das Fürstentum Doruk angreifen, das weiter im Norden liegt. Da das Tal der Winde und andere kleine Länder mit Torumekia verbündet sind, muss es sich an dem Krieg beteiligen, eine Aufgabe, die Nausicaä übernimmt. Doch gibt es noch mehr außer diesem Krieg: Warum griff König Wu das ebenfalls verbündete, kleine Pejite an und was hat es mit dem Artefakt auf sich, das die sterbende Prinzessin von Pejite Nausicaä anvertraut?
Noch ehe Hayao Miyazaki (Jahrgang 1941) Mitbegründer und Kopf des berühmten Zeichentrick-Studios Ghibli wurde, schrieb und zeichnete er die Geschichte der Prinzessin Nausicaä aus dem Tal der Winde als Manga (Nausikaa ist eine Figur aus Homers Odyssee). Die Episoden erschienen erstmals zwischen 1982 und 1994 und wurden bei uns im Carlsen Verlag bereits zweimal, 2001 und 2010, in je sieben Bänden veröffentlicht. Jetzt bringt der Verlag den Manga, der 1984 auch erfolgreich verfilmt wurde, in vier Doppelbänden und als Hardcover-Edition heraus. Natürlich in japanischer Leserichtung und in dem ursprünglichen wie ungewöhnlichen braunen Farbton (statt schwarzer Tusche). Überhaupt erscheint Miyazakis Zeichenstil detaillierter, aufwändiger und auch nervöser als der eines Durchschnitts-Mangakas.
Von Anfang an ist die Story dicht und atemlos erzählt. Etliche originelle Ideen und Einfälle prasseln auf den Leser ein, von denen manche auch „geborgt“ sein können. So mag Nausicaäs kleiner weißer Gleiter an den Flug-Dino erinnern, auf dem Moebius’ Arzach durch eine ähnlich wilde Natur fliegt. Und die Ohmus gemahnen natürlich an die Sandwürmer aus Dune. Die Flugmaschinen – das einzige technische Gerät in der Erzählung -, mit denen man sich bevorzugt fortbewegt, ähneln samt Luftschlachten ganz anachronistisch Bombern aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Geschichte um Nausicaä und den Krieg, den sie nicht will, entwickelt sich komplex. Verbündete sind nicht gleich Verbündete. Warum etwa zerstören die Torumekianer unter Führung ihrer Prinzessin Kushana Pejite? Was suchen sie dort? Und welche Geheimnisse birgt das Meer der Fäulnis?
Was uns zum Umweltaspekt bringt, der stets mit der Reihe in Verbindung gebracht wird. Die Natur erscheint tödlich, reinigt sich aber in dieser Postapokalypse tatsächlich selbst von den Sünden und Sündern der Vergangenheit. Dabei scheint es keinen Platz mehr für die heute lebenden Menschen zu geben – scheinbar unaufhaltsam und unzerstörbar breitet sich das Meer der Fäulnis aus. Es scheint, als müsse Böses mit Bösem bekämpft werden, um die Natur wieder gesunden zu lassen, die der Mensch schon lange nicht mehr versteht. Lieber führt man Kriege, wobei eine ultimative Waffe wiederentdeckt wird, die einst zum Untergang beitrug und die nun erneut Begehrlichkeiten weckt. Ab und an ist es nicht leicht, der komplexen Story zu folgen, v.a. in dem furios inszenierten Kampfgetümmel kann man schon einmal die Übersicht verlieren. Band 2 ist bereits erhältlich. Mit dem abschließenden Band 4, der im Oktober erscheinen soll, kommt auch ein Schuber, in den alle vier Teile passen. (bw)
Nausicaä aus dem Tal der Winde, Band 1
Text & Bilder: Hayao Miyazaki
272 Seiten in Schwarz-Weiß, Hardcover
Carlsen Manga
20 Euro
ISBN: 978-3-551-80505-8