
Irgendwo im Grand Canyon in Arizona schmachtet ein Mann seine Angebetete an, die er jedoch nur in Papierform, als Fotografie, bei sich trägt. Denn Gwendoline, so heißt sie, lebt in Maine. Und genau dahin will der Mann. Was er nicht bei sich trägt, ist eine Waffe. Sein Pferd, ein gestandener Kaltblüter, heißt Blümchen. Der Mann, dessen Namen wir nicht erfahren, reitet es ohne Sattel. Unten am Wasser trifft er unvermittelt auf einen alten englischen Soldaten (samt ebenso alter Uniform), der per Floß daherkommt und der seinen Kameraden in Quebec (!) beistehen will. Gemeinsam machen sie sich auf den langen Weg quer durch den Kontinent Richtung Osten, kommen aber nicht weit. Schuld daran ist eine Begegnung mit Blauröcken und ihrer Gefangenen, einer Sioux Squaw namens Weißer Hase (auf dem Backcover „Weißes Kaninchen“ genannt). Die muss das Duo nun in Fort Laramie „abliefern“, doch auch das läuft nicht nach Plan. Im Gegenteil…
Der Western „Mann aus Papier“ entstand bereits 1982 und geht somit fast noch als Frühwerk Milo Manaras durch. Wie wir im kurzen Nachwort erfahren, sollte daraus eigentlich eine Serie werden, die jedoch nie über den einen Band hinaus kam. Daher auch der ursprüngliche Titel „Vier Finger“, der so gar nicht zur Handlung passt, unter dem der Band auch 1984 erstmals auf Deutsch im Volksverlag erschien. Es folgten Veröffentlichungen im Verlag Schreiber und Leser (nun als „Mann aus Papier“) und 2016 bei Panini innerhalb der Manara Werkausgabe (in Band 16). Nun also bringt der Splitter Verlag den Titel, wieder als Einzelband, im Rahmen der umfangreichen Manara-Edition heraus, übrigens wieder mit einem wunderbaren Collector’s Edition-Druck .

Dass wir hier keinen Western-Mainstream vor uns haben, suggeriert schon die kurze Inhaltsangabe, die nur einige der absonderlichen Charaktere und Begebenheiten vorstellt, denen wir hier begegnen. Ein Held ohne Waffe auf einem lahmen, störrischen Gaul, ein alter Haudegen, der aus der Zeit gefallen ist. Später gesellt sich noch ein eloquenter „Reverend“ hinzu, der bei Regen Amok läuft. Und ein Andersrum-Indianer (wer „Little Big Man“ gesehen hat, weiß wovon hier die Rede ist). Dazu noch die die vergleichsweise „normale“ Sioux Dame, ganz in attraktiver Manara-Ausführung.
Skurrile Gestalten also, die nicht minder kuriose bis aberwitzige Stationen episodisch durchleben, in denen man sich immer wieder begegnet. Dazwischen kommen sich unser anonymer Titel-Held und Weißer Hase näher (sie nennt ihn Mann aus Papier, er nennt sie Hintern-im-Wind), natürlich ohne dass das einer von beiden eingestehen mag. Ein ungewöhnlicher Western, leicht, originell und auch poetisch erzählt, mit einem abrupten Schluss – leider. Die Manara-typische Erotik-Komponente bleibt hier übrigens weitgehend außen vor – man kann sich also ganz auf die Geschichte konzentrieren. Einige ganzseitige Illustrationen zum Thema beschließen den wie stets bei Splitter wunderbar präsentierten Band. (bw)
Mann aus Papier
Text & Bilder: Milo Manara
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
18 Euro
ISBN: 978-3-68950-063-4