Der goldene Esel (Splitter)

Dezember 27, 2024
Der goldene Esel (Splitter Verlag) von Milo Manara

Lucius hat ein kleines Laster, das ihm zum Verhängnis wird: neugierig ist der Kollege über die Maßen. Als er dem alten Geizkragen Milo einen Brief überbringt, hört er nur allzu gerne die Gerüchte über dessen Ehefrau Pamphile, der man Hexerei nachsagt. Die Dienerin Photis, mit der Lucius flugs auch zwischenmenschlich anbandelt, lässt sich breitschlagen, den Naseweis nachts heimlich einem seltsamen Ritual beiwohnen zu lassen, in dem sich Pamphile per Tinktur in eine Eule verwandelt. Das wäre doch auch für Lucius etwas, der schon immer gerne mal fliegen wollte – dumm nur, dass Photis die falsche Ampulle erwischt und Lucius sich keinesfalls in einen Herrn der Lüfte, sondern in einen ausgewachsenen Esel verwandelt.

Als in der gleichen Nacht das Haus von Milo überfallen wird, schnappen ihn die Banditen kurzerhand als Lasttier für die Beute. So beginnt eine turbulente Reise durch die antike Gesellschaft: Lucius denkt, sieht und hört wie ein Mensch, gerät aber dank seiner Eselsgestalt in allerlei Schwulitäten. Der Räuberbande entflieht er gemeinsam mit der entführten Dame Charite, die von ihrem Ehemann gerettet wird. In deren Hause ergeht es Lucius eher übel, ein Diener malträtiert ihn, weshalb er wieder das Weite sucht. Auf seiner Odyssee trifft er, immer wieder verkauft, auf einen perversen Sektenanführer, einen menschenschindenden Müller und schließlich einem Patrizier-Pärchen, das durchaus abseitigen Gelüsten frönt: so etwa soll Lucius sich in seiner tierischen Gestalt mit der Dame des Hauses vergnügen. Als sich das Schauspiel dann noch im Zirkus Maximus vor rasendem Publikum wiederholen soll, nimmt Lucius endgültig Reißaus…

Mit seinen „Metamorphosen“ (der heute gebräuchliche Titel „Der goldene Esel“ etablierte sich erst im Mittelalter) lieferte der Schriftsteller und Rhetoriker Apuleius um 150 nach Christus eines der zeitlosen Werke der Weltliteratur, das als einer der ersten Romane bis heute nachhallt. In insgesamt elf Abschnitten spannt Apuleius hier einen satirischen Bogen durch die gesamte antike Gesellschaft, in der eine pikaresk-schelmenhafte Reise (die später dann unter anderem auch Simplicissimus und Don Quixote unternahmen) menschliche Abgründe gnadenlos bloßstellt. Die Neugier wird dabei zu Lucius‘ Fall: so wie von außen zunächst die Welt der Hexerei zwielichtig erscheint, so eröffnet dann der Blick des Esels, der unbemerkt auch den intimsten Momenten beiwohnen kann, die Niedertracht der vermeintlich feinen Gesellschaft.

Religion, Habgier und auch erotische Abseitigkeiten kommen dabei ebenso unters Brennglas wie Politik und Philosophie, die in durchaus zotigen Episoden durch den Kakao gezogen werden – Chaucers Canterbury Tales würden das Prinzip ebenso aufgreifen. Die Verwandlung liefert dabei das Element, das die satirische Verkehrung des Blicks ermöglicht, und ist somit nur scheinbar anders gelagert als bei den „anderen“ berühmten Metamorphosen der Weltgeschichte: auch bei Ovids Verwandlungen zeigen sich menschliche Züge überspitzt, wie etwa der stets zerstörerische Hochmut im unheilvollen Flug des Ikarus oder auch der Plappermäuler, die – wie dies unser Lateinlehrer unnachahmlich durchs Klassenzimmer hüpfend trefflich lauthals inszenierte – in Froschgestalt auf einmal „sub aquaaaas sub aquaaaas“ weilten.

Altmeister Milo Manara wäre nicht Manara, wenn er für seine Adaption des Stoffs nicht die erotische Komponente in den Vordergrund stellen würde: ursprünglich erschienen 1999 unter dem Titel „La Metamorphose de Lucius“, präsentiert diese Fassung des wilden Reigens die für Manara üblichen zwischenmenschlichen und auch tierischen Begegnungen, die durch die Eselsgestalt des Lucius von vornherein eine gewisse satirische Überspitzung einnehmen. Wie etwa, so fragt sich unser Held, soll denn das mit der Patrizierin funktionieren, bei seiner durchaus beachtlichen Ausstattung? Nun, man findet Mittel und Wege. Inhaltlich grüßt Manara wieder wie in vielen Werken hinüber zu Federico Fellini, der in seinem „Satyricon“ eine ebenso fiebrig-provokante Nummernrevue aus einem satirischen Roman der Antike zauberte (gleich am Anfang trifft Lucius auf eine alte Vettel, die eindeutig an die von Magali Noel verkörperten Figur der Fortunata in Fellinis Film angelehnt ist).

Optisch zeigt sich Milo Manara hier auf dem Höhepunkt (sic) seiner Kunst: stilvolles Schwarz-Weiß wird punktuell angereichert durch inhaltlich höchst bedeutsame Farbkleckse, von Blut und Feuer über den Alabasterkörper der hübschen Patrizierin bis hin zur Muttergöttin, die in fast schon klimtscher Kolorierung unserem geplagten Held schließlich die Erlösung schenkt. Der vorliegende Band bringt den „erotischen Comic für Erwachsene“ in bei Splitter bewährt-gediegenen Aufmachung, mit einer kleinen Cover-Galerie (inkl. einiger Blade Runner-Interpretationen Manaras!), einem kurzen Nachwort und einem schmucken Kunstdruck. So macht klassische Bildung doch Freude! (hb)

Der goldene Esel
Text & Story: Milo Manara, nach Apuleius
Bilder: Milo Manara
64 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
22 Euro

ISBN: 978-3-98721-461-5

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