
Willkommen in den Traumlanden, einer fremden Dimension, einer unbestimmten Alternativ-Welt, die nur in Träumen formbar und erreichbar ist. Drei Kurzgeschichten aus dem sogenannten Traumzyklus, den Autor H.P. Lovecraft (1890 – 1937) zwischen 1918 und 1932 immer wieder behandelte, beinhaltet die aktuelle Lovecraft-Comic-Adaption des Mangaka Gou Tanabe im Carlsen Verlag: „Celephaïs“, „Die Katzen von Ulthar“ und „Die anderen Götter“. Die Storys entstanden 1920 bzw. 1921, wurden aber zum Teil – wie bei Werken Lovecrafts nicht unüblich – erst Jahre später erstveröffentlicht.
„Celephaïs“, im Tal Ooth-Nargai hinter den Tanarischen Bergen gelegen ist eine strahlende Stadt in den Traumlanden. Kuranes, unsere Hauptfigur, konnte sie in seiner Jugend im Traum sehen und ist seitdem – er ist längst erwachsen – besessen davon, sie wieder zu besuchen. Was ihm eines Tages auch gelingt. Doch wieder wacht er zu früh auf. Er muss also mehr und länger schlafen, um erneut den Zugang in seinen Träumen zu finden, und greift daher auch auf Drogen zurück… Haben wir hier einen Verrückten, der im Drogenrausch halluziniert? Oder gibt es Celephaïs wirklich, das Gou Tanabe als bizarre Mischung aus Neuschwanstein und Minas Tirith visualisiert? Samt schwebender, goldener Galeere, mit der man nach Serannian, der Wolkenstadt aus rosa Marmor, gelangt? Während Kuranes weltliches Dasein immer mehr an Lebensqualität einbüßt, scheint er in Celephaïs seine Erfüllung zu finden.
Ulthar, ein Städtchen jenseits des Flusses Skai. Hier sind Katzen allseits beliebt. Nicht aber bei den beiden Alten, die am Rande der Stadt in einer schäbiger Hütte leben. Der junge Atal, auch ein Katzenfreund, begegnet Menes, der mit einer seltsamen Karawane in die Stadt gekommen ist, die überall gute Laune verbreitet. Als Menes‘ Katze verschwindet, verdächtigt man die beiden Alten, was eine Kette seltsamer wie unerklärlicher Ereignisse auslöst, an deren Ende ein neues Gesetz erlassen wird, dass niemand auf dem Boden von Ulthar eine Katze töten darf… Katzen können wehrhaft sein, aber vermögen sie auch das, was hier angedeutet wird? Gou Tanabe inszeniert die Stubentiger (Lovecraft war ein Katzenliebhaber) hier schön unheimlich, natürlich wieder garniert mit einem übersinnlichen Touch.
Dem setzt er im abschließenden „Die anderen Götter“ noch einen drauf. Ausgangspunkt ist wieder Ulthar. Wieder begegnen wir Atal, der inzwischen ein Schüler des Gelehrten Barzai ist. Letzterer beschließt den Göttern, die angeblich immer mal wieder auf die Gipfel der Berge zurückkehren, von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu treten. So besteigt er, trotz massiver Warnungen der Einheimischen, gemeinsam mit Atal den Berg Hatheg-Kla. Und beide müssen bald erkennen, dass es neben den Göttern noch höhere, gefährlichere Entitäten gibt… Dass Tanabe Gebirge kann, wissen wir spätestens seit „Berge des Wahnsinns“. Auch hier schafft er ein apokalyptisches, beinahe abstraktes Finale hoch oben, bei dem Atal erkennen muss, dass es ungesund ist, wenn man den Göttern zu nahe kommt. Die drei Storys sind gradlinig, unkompliziert, lassen dennoch inhaltlich wie optisch Spielraum für Interpretationen. Wieder einmal sind Tanabes filigrane Zeichnungen Trumpf und lassen eine angenehm schaurig bedrohliche Lovecraft-Atmosphäre entstehen. (bw)
H.P. Lovecrafts „Die Katzen von Ulthar“
Text & Bilder: Gou Tanabe
216 Seiten in Schwarz-Weiß, Softcover
Carlsen Verlag
14 Euro
ISBN: 978-3-551-80562-1