Talion, Band 1 (Splitter)

Januar 11, 2024
Talion, Opus 1: Wurzeln (Splitter Verlag)

Irgendwann, irgendwo. Alles liegt im Argen. Die Welt scheint wieder einmal endgültig vor die Hunde zu gehen. Schuld ist in erster Linie die „Seuche“, ein Virus, das jeden und alles befällt. Es ist in der Luft, in Dingen, in Menschen. Und natürlich im Trinkwasser. Die schlimmste Folge ist, dass die Seuche Menschen zu zombie-artigen, brutalen Monstern machen kann, dem Aas. Das Aas lebt in der Stadt ForenHaye – ein wahrer Moloch – ganz unten in den nassen, dreckigen Tiefen. Dann kommen die Wurzelbezirke, wo die Arbeiter hausen. Und in der Oberstadt der Adel, der vom Herrscher, König Sirius Talion, angeführt wird. Der Adel hat das (geheime) Privileg, sauberes Wasser trinken zu dürfen, was die Seuche in gewissem Maße in Schach zu halten vermag.

Dann gibt es in den Wurzelbezirken die beiden Herzoginnen Adamante Glitter und Eleanor Spark und deren Tochter Billie. Die Herzoginnen leben seit Jahren getrennt – während Adamante (zumindest offiziell) königstreu ist, wird die aufmüpfige Eleanor der Obrigkeit, v.a. in Person von Lord Wicker Nox, dem Gouverneur der Wurzelbezirke, zusehends ein Dorn im Auge. Denn Eleanor und Billie wissen auch, wie man reines und damit gesundes Wasser herstellt und verteilen es illegal und kostenlos an das gemeine Volk. Während sich die Schlinge um die Herzoginnen immer mehr zuzieht, forscht derweil der geheimnisvolle Tadeus, ein Freund von Eleanor Spark, nach einem Heilmittel gegen die Seuche…

Der neue Science Fiction Dreiteiler von Zeichner und Autor Sylvain Ferret (der auch Band 9 aus der Reihe „Androiden“ bei Splitter zeichnete) erfordert volle Aufmerksamkeit beim Lesen. Zumindest anfangs. Man muss sich erst einmal ein- und zurechtfinden in dieser dystopischen, düsteren Welt ohne Sonne und die Konstellationen der Personen untereinander verstehen. Das dauert eine Weile, weil die Story direkt loslegt. Hat man sich dann durch den durchaus sperrigen Beginn gekämpft, gelangt man in einfacheres Fahrwasser, denn nach und nach wird man mit den Figuren und deren durchaus komplexen Verbindungen untereinander vertraut. Und dann wird die Story richtig gut, weil dramatisch und spannend, ohne Rücksichtnahme auf die vermeintlichen Hauptpersonen inszeniert.

Motiv-Anleihen findet man dabei etliche: die Seuche, das fragile, antik-feudale Gesellschaftssystem, das nur durch Unterdrückung funktioniert. Die Teilung in Unter- und Oberstadt. Beispiele lassen grüßen, wie Serpieris Morbus Gravis/Druuna, Im Schatten des Neumonds (die Älteren werden sich erinnern) oder der Stummfilmklassiker Metropolis. Die in solchen Dystopien gerne genommene Blade Runner Optik variiert Ferret jedoch auf originelle Art und Weise mit einem Stil, den er „Gothic Cyberpunk“ nennt. So residieren Adel und König in Palästen, die wie gigantische gotische Kathedralen über der Stadt thronen und deren Türme schlank und weit und letztlich auch bedrohlich in den finsteren Himmel ragen.

Auch die Charaktere sind originell angelegt: Tadeus besitzt erschreckende Fähigkeiten, Billie scheint immun gegen die Seuche und König Sirius Talion lässt sich ständig das durch den Seuchenbefall entstandene nekrotische Gewebe operativ entfernen, was ihm auch eine monströse Aura verleiht. Die Geschichte präsentiert Sylvain Ferret stets mit einer originellen, stylishen Bild-Architektur: großzügige Perspektiven, wie Draufsichten von weit oben, wechseln sich ab mit Seiten, die aus streng regelmäßig angeordneten Panels bestehen. Und alles grau in grau – bis auf einige Neon-Farbtupfer. Denn für Buntes scheint in dieser Welt kein Platz mehr zu sein. Ein hochinteressanter Auftakt. Band 2 („Adern“) der Trilogie erscheint im April. (bw)

Talion, Opus 1: Wurzeln
Text & Bilder: Sylvain Ferret
64 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
17 Euro

ISBN: 978-3-96792-123-6

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