Nach der Affäre um Klervis ehemaligen Zuhälter Jules, den Clara pragmatisch wie konsequent aus dem Weg geräumt hat, beschließen die beiden Damen, die inzwischen längst Freundinnen sind, unterzutauchen und reisen in die Bretagne, Klervis Heimat. Dort besitzt auch Claras Bruder, der zur See fährt, ein Haus. Auf der Reise dorthin berichtet Clara, die früher Zabo hieß, endlich ihre Geschichte: Nach dem blutigen Ende der Pariser Kommune 1871 wird Clara, die einen verletzten Kommunarden versteckte, verhaftet. Ihr nur drei Monate altes Baby wird erschossen, sie selbst brutal vergewaltigt. Auch ihr Mann Quentin fällt im Kampf. Jeglichen Lebenswillens beraubt, erträgt sie die harten Haftbedingungen bis zu ihrem Prozess, der mit dem Urteil lebenslange Deportation und Festungshaft auf der französischen Strafkolonie Neukaledonien endet. Nach einigen Jahren trifft sie dort Lukaz Maze wider, der als Arzt arbeitet und wird seine Assistentin und seine Partnerin. Im Rahmen einer Generalamnestie darf sie 1880 in die Heimat zurückkehren…
Zweifellos: Es ist mitunter wieder anspruchsvolle Kost, die François Bourgeon hier in seinem finalen Teil seines Opus Magnum serviert. In den Dialogen wimmelt es nur so von zahlreichen historischen Persönlichkeiten, die teils auch in der Handlung auftauchen, wie beispielsweise Henri Rochefort (Schriftsteller und Politiker), der als prominenter Verbannter eine Sonderbehandlung genießt. Man kann zur Recherche natürlich Wikipedia zum Glühen bringen, was dem Lesefluss jedoch nicht dienlich ist – oder besser, man liest vorher den Artikel zur Pariser Kommune, um im Bilde zu sein, was die geschichtlichen Hintergründe betrifft (alternativ: Jacques Tardis „Die Macht des Volkes“). Claras Bericht über diese tragische Zeit nimmt dann auch in einer ausführlichen Rückblende den Hauptteil des Bandes ein. Wieder und zum letzten Mal ist sie als eine der Frauenfiguren Bourgeons eine Reisende im Wind, auf einer 120-tägigen Tort(o)ur mit dem Ziel Neukaledonien, das die Franzosen als Kolonie in Besitz genommen haben.
Auch dort nimmt sich Bourgeon viel Zeit für die Handlung, zeigt immer wieder kleine Begebenheiten, Begegnungen und Zwischenepisoden, ehe Clara endlich Lukaz wieder trifft (der sie als einziger noch Zabo nennen darf) und dann tatsächlich neuen Lebensmut fasst. Dennoch sind die acht Jahre auf Neukaledonien hart – die leider üblichen Gräuel der Kolonisten gegen die Ureinwohner kommen zur Sprache, ein Aufstand wird brutal niedergeschlagen. Später, fast ruckartig, schwenkt die Handlung wieder zu Clara und Klervi, die gemeinsam mit Lukaz in der wilden und urtümlichen Bretagne angekommen endlich Claras Bruder Jean treffen, was schließlich zu einem Ende führt, in dem Bourgeon (der in der Bretagne lebt, somit ist das Finale zeichnerisch und inhaltlich ein Heimspiel für ihn) noch einmal in einer letzten Schlüsselszene eine faustdicke Überraschung präsentiert…
Mit dem Band, der nach 43 Jahren die Serie abschließt (gut, es gab nach dem ersten Zyklus eine lange Unterbrechung) liegen bis auf die ersten zwei Bände der Reihe „Britta und Colin“ („Brunelle et Colin“), die Bourgeon zeichnete, alle seine Comics bei Splitter vor – von dem Fantasy-Mittelalter-Dreiteiler „Die Gefährten der Dämmerung“ (mit dem atemberaubendem dritten Band „Das Fest der Narren“), dem Science-Fiction Epos „Cyann – Tochter der Sterne“ und eben „Reisende im Wind“, das nach drei Zyklen (bestehend aus fünf und zweimal zwei Bänden) nun sein Ende findet. Ein letztes Mal sehen wir in seinem urtypischen, schon fast archaisch anmutenden Zeichenstil seine großzügigen wie akribisch inszenierten Panels, bei denen es immer intelligente Dialoge und damit viel zu lesen gibt, seine ganzseitigen Schiffs-Ansichten und die ausdrucksstarke Gesichter und Mimik seiner Personen (wobei für Lukaz offenbar der Schauspieler Gabriel Byrne Pate stand). Große wie klassische franko-belgische Comic-Kunst. Bourgeon ist jetzt 78 Jahre alt. Ob er noch einmal etwas Neues anpackt? Wir lassen uns gerne überraschen. (bw)
Reisende im Wind, Band 9 – Die Zeit der Blutkirschen,
Buch 2: Rue des Martyrs
Text & Bilder: François Bourgeon
136 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
28 Euro
ISBN: 978-3-98721-173-7