Tage des Sandes (Splitter)

Juni 29, 2023
"Tage des Sandes" von Aimée de Jongh (Splitter Verlag), Graphic Novel

Mitte der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts gab es in den USA eine lang anhaltende, extreme Dürre. Nicht nur eine Dürre. Bedingt durch übermäßigen Ackerbau und Viehzucht verschwand die Halt gebende Begrasung des Bodens. So bedeckten schnell Sand und Staub weite Flächen des Landes, das so noch zusätzlich von gewaltigen Sandstürmen heimgesucht wurde. Betroffen waren v.a. Teile der US Staaten Oklahoma, Kansas und Colorado, die man bald Dust Bowl (Staubschüssel) nannte. Die Folge der Dürre, die noch dazu in die Zeit der amerikanischen Depression fiel: Sofern sie es konnten und noch genug Geld da war, verließen Tausende Familien ihr Land, meist um in Kalifornien eine neue Heimat zu finden (John Steinbecks „Die Früchte des Zorns“ erzählt von so einer Familie). Jene die blieben mussten nicht nur mit den widrigen Bedingungen, der Armut und der nun kargen Erde kämpfen, sondern litten auch unter Atemwegserkrankungen, hervorgerufen durch den allgegenwärtigen Staub, der durch jede noch so kleine Ritze der Holzhäuser drang.

Die Farm Security Administration, kurz FSA, eine Regierungsbehörde, hatte die Aufgabe, ärmliche Farmer und die verarmte Bevölkerung zu unterstützen. Als einen Weg, dies zu tun und zu erreichen, startete man eine umfassende fotografische Dokumentation des Elends im Dust Bowl, um so der breiten amerikanischen Bevölkerung in einer Aufklärungskampagne die Zustände dort vor Augen führen zu können. Dazu entsandte man einige Fotografen in die Dürre-Region. Auch der gerade 22-jährige John Clark wird engagiert und ins Zentrum des Dust Bowls geschickt, nach Oklahoma in das sogenannte No Man‘s Land. Dort soll der talentierte Knipser mit Hilfe einer Liste, Shooting Script genannt, den harten Alltag in Bildern festhalten, wenn es sein muss und der Zweck die Mittel heiligt, auch gerne mit gestellten Fotos – Hauptsache die Bilder sagen mehr als tausend Worte.

So macht sich John mit seinem Ford auf in das Krisengebiet. Dort stößt er jedoch anfangs auf Ablehnung und Misstrauen. Bald erlebt er selbst die verheerenden, mitunter tagelangen Sandstürme, den allgegenwärtigen Staub, das ständige Freischaufeln von Autos und Häusern, die Sisyphusarbeit des vergeblichen Reinigens der Innenräume. Bald legt John seine Naivität ab und ändert seine Strategie, wodurch er endlich Zugang zu den Menschen bekommt und deren Ängste und Nöte verstehen lernt. Und dann trifft er auch noch auf die schwangere Betty. Obwohl deren erste Begegnung nur kurz ist, sind sich beide gleich sympathisch. Doch John will seinen Job zu Ende bringen und seine Motiv-Liste abarbeiten. Bis er selbst und direkt von dem Elend und der Verzweiflung der Menschen im Dust Bowl betroffen ist…

Tatsächlich war es damals so, wie es Autorin und Zeichnerin Aimée de Jongh („Das unabwendbare Altern der Gefühle“) hier in vielen dokumentarischen Details beschreibt. Die Dürre, v.a. Mitte der 30er war gigantisch, wodurch eine nicht minder gigantische Migration, meist gen Westen, einsetzte. Und tatsächlich schickte die FSA diverse Fotografen in den Dust Bowl, wodurch eine riesige Sammlung an Fotos als Zeitdokumente entstanden und erhalten geblieben sind. Exemplarisch für diese Fotografen lässt de Jongh den jungen John in die Gegend reisen. Der sieht darin eine Chance und einen guten Job (immerhin inmitten der Depression). Doch auch John hat eine Last zu tragen. Sein Vater, der auch John hieß und ebenfalls Fotograf war, war Alkoholiker und Schläger und verprügelte den Jungen regelmäßig. Obwohl er deshalb seinen alten Herrn, der vor einigen Jahren starb, hasst, hat er dennoch dessen fotografisches Talent geerbt, den gewissen Blick für gute Motive. Doch wachsen ihm angesichts der Aufgabe stetig Zweifel, seinen Platz und seine wahre Bestimmung gefunden zu haben.

Trotz der katastrophalen Situation der Menschen dort gelingt es Aimée de Jongh immer wieder positive Elemente in ihrer Story unterzubringen, seien es Menschen, die trotz Not und Krankheit ihrem Schicksal trotzen, Feste feiern und – ist das Eis einmal gebrochen – stets hilfsbereit sind, oder ein unvermittelt auftauchender edler Rappen, was in dieser Szenerie fast surreal wirkt. Eindringliche und intensive Bilder schafft de Jongh v.a. mit den Sandstürmen, die bedrohlich und dennoch mit einer gewissen Faszination ganze Doppelseiten einnehmen, wodurch die Intensität dieser Naturgewalt noch anschaulicher in Szene gesetzt wird. Echte Fotografien von damals, die zwischen den Kapiteln platziert sind, unterstreichen den dokumentarischen Anspruch, vor dem der junge Fotograf in dem gefühlvoll geschilderten und bebilderten Finale eine späte Coming of Age Erfahrung machen darf. Der Band erscheint bei Splitter im etwas kleineren Graphic Novel- und Book-Format. (bw)

Tage des Sandes
Text & Bilder: Aimée de Jongh
288 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
39,80 Euro

ISBN: 978-3-98721-078-5

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