Die Geschichte der 3 Adolfs, Band 1 (Carlsen)

Oktober 19, 2022
Die Geschichte der 3 Adolfs, Band 1: Mord in Berlin (Carlsen Verlag)

Berlin 1936: der japanische Sportjournalist Sohei Toge berichtet von den seitens der Machthaber als bombastische Inszenierung gefeierten olympischen Spielen. Plötzlich erreicht ihn ein Anruf seines Bruders Isao, der ebenfalls in Berlin studiert: er habe eine unglaublich wichtige Botschaft für ihn, die zum Sturz Hitlers führen könnte. Sohei sucht den Bruder zu Hause auf und findet nur noch eine verwüstete Wohnung vor – und die von Messerstichen übersäte Leiche seines Bruders, die man offenbar aus dem Fenster geworfen hat. Als einzigen Hinweis kann Sohei neben einem Zettel mit den Initialen „RW“ Gipsspuren unter den Fingernägeln des Opfers erkennen. Das erinnert Sohei an einen Fall aus seiner Heimat, wo man bei einer ermordeten Geisha ebenfalls Gipsrückstände fand. Anstelle von Hilfe trifft Sohei in Folge auf eine Mauer aus Schweigen, Lug und Trug: die herbeieilende angebliche Polizei lässt die Leiche verschwinden, und Isao zweifelt an seinem Verstand, als niemand seinen Bruder jemals gesehen haben will. In seiner Not schaltet Sohei eine Anzeige mit der Bitte, dass „RW“ sich doch melden solle, worauf sich erst ein Bauer aus einem Dorf und dann eine gewisse Renate Wagner mit ihm Kontakt aufnehmen.

Auf dem Bauernhof findet Sohei nur die Leichen der ermordeten Familie und die im Wald verscharrte Leiche seines Bruders, als er plötzlich von der Geheimpolizei verhaftet, nach den brisanten Informationen gefragt und gefoltert wird, bis man merkt, dass er nichts weiß und von ihm ablässt. Nachdem Sohei sich aufgrund der Elektroschocks an kaum etwas erinnern kann außer dem Gesicht seines Peinigers, fasst er den Entschluss, auf den Parteitag der Nazis nach Nürnberg zu fahren, nachdem er die Drahtzieher in den Reihen der Funktionäre vermutet. Renate begleitet ihn und wird alsbald als Rosa Lampe entlarvt, als ein hochrangiger Parteibonze sie erkennt und anspricht. Als der von seiner Wagner-Begeisterung schwärmt, hat Sohei die zündende Idee: „RW“ steht für Richard Wagner, und die Gips-Spuren dürften von einer Büste stammen, in der Isao die prekären Informationen versteckt hatte. Als sich dann auch noch herausstellt, dass der Folterknecht niemand anders ist als Rosas Vater, konfrontiert Sohei die Agentin, die sich in ihrer Not aus dem Fenster stürzt…

Kobe 1936: Adolf Kaufmann, Sohn eines deutschen Diplomaten und einer japanischen Mutter, sitzt zwischen allen Stühlen und wird in der Schule terrorisiert. Da kommt ihm der Bäckerssohn Adolf Kamil zu Hilfe, dessen jüdische Eltern noch weitgehend unbehelligt in Japan leben können. Unruhe kommt im Hause Kaufmann auf, als die Polizei den Vater zu einem Mord an einer Geisha befragt, zu der der Diplomat wiederholt Kontakt hatte. Kaufmann streitet alles ab, besorgt sich aber ein Alibi und leidet unter Erinnerungen an den Mord, den tatsächlich er verübte, um einen ominösen „Gegenstand“ zu besorgen. Der kleine Adolf hört in Folge eine Unterhaltung seines Vaters mit, aus der hervorgeht, was denn die brandheiße Information ist: offenbar kursierten im kommunistischen Lager Dokumente, die beweisen, dass Hitler zumindest teilweise jüdischer Abstammung ist. Diese wurden in einer Wagner-Büste versteckt gehalten und von Isao aus Deutschland nach Japan geschickt, um sie vor dem Zugriff der Nazis zu retten.

Adolf, der die Nachricht für so unglaublich hält, dass er sie notiert, hat indes andere Sorgen: der Vater will ihn gegen alle Proteste seines Sohnes und seiner Frau nach Deutschland auf die Kaderschule AHS schicken, um ihn zum blitzsauberen Nazi auszubilden. 1938: die Polizei lässt nicht locker und sucht nochmals Kaufmann auf. Man konfrontiert den sauberen Diplomaten mit Fotos, die beweisen, dass er am Tag des Mordes mit der Geisha zusammen gesehen wurde. Als er tagelang verschwunden ist, durchsucht seine Frau Yuki sein Arbeitszimmer und findet tatsächlich kompromittierende Fotos, die belegen, dass sich Kaufmann und die Geisha alles andere als fremd waren. Nach einer sintflutartigen Überschwemmung taucht Kaufmann (der Jagd auf einen Juden gemacht hatte, von dem er sich wichtige Informationen erhoffte) wieder zu Hause auf und bricht mit einer Lungenentzündung zusammen.

Osamu Tezuka

Auf dem Totenbett gesteht Kaufmann seiner Frau den Mord und stiftet noch seinen Mitwisser Gerhard Mische dazu an, dem jungen Adolf zu entlocken, wo die brisanten Dokumente abgeblieben sind. Adolf gelingt es zwar, den Fängen von Mische zu entgehen, aber der Entsendung nach Deutschland kann er nicht mehr entrinnen… Indessen erhält die Lehrerin Ogi, die mit den Kommunisten sympathisiert, Besuch vom mittlerweile nach Japan zurückgekehrten Sohei Toge, der mutmaßt, dass sein Bruder seiner ehemaligen Lehrerin die brenzligen Dokumente per Post zugesendet hatte. Das stellt sich als Volltreffer heraus: in der Tat hat Ogi von Isao Unterlagen bekommen, die die Theorie ausbreiten, Hitler habe jüdische Wurzeln. Die Geheimpolizei ist Sohei bald auf den Fersen, und eher zufällig läuft er der Witwe Yuki Kaufmann über den Weg, die ihm aushilft – aber dann gerät Sohei komplett ins Räderwerk der Geheimdienste und Verstrickungen…

Manga no kamisama – Gott des Manga. Mit diesem Ehrentitel bedachte man Osamu Tezuka, der die japanische Form der Bildgeschichten prägte wie kein anderer und schon in den 1940er Jahren seine Karriere begann. Dem jugendlichen Fernsehpublikum der 70er Jahre und damit auch mir trat Tezukas Werk in Form von „Janguru Taitei“ entgegen, in unseren Breiten eher geläufig als „Kimba, der weiße Löwe“, der – entstanden in den 50ern – als Zeichentrickserie und auch als Hörspiel für atemlose Spannung sorgte. Auch „Tetsuwan Atomu“ machte als „Astro Boy“ Furore, der es als erster Anime auch zu einer Veröffentlichung in den USA brachte. Mit zahllosen Mangas und auch Animes entwickelte Tezuka seinen Stil permanent weiter und lieferte auch immer wieder politische Stoffe, die häufig die Zeit des zweiten Weltkriegs aufarbeiten.

So auch in dem wahrlich epochalen Thriller um die drei Adolfs, die trotz des gleichen Namens unterschiedlicher nicht sein könnten und in dem Tezuka eine faszinierende Mischung aus historischen Hintergründen, wilden Spekulationen und einer Agenten-Untergrund-Story ausbreitet, an der ein John Le Carré seine Freude hätte. Die geschichtlichen Szenerien, wie die Olympischen Spiele und der Parteitag von 1936, breitet Tezuka episch aus und wirft dabei stets den Blick auf seine Protagonisten, die dem Rätsel der Morde hinterherjagen. Dabei nutzt Tezuka das von Alfred Hitchcock gerne genutzte Motiv der Mauer des Schweigens und der Leugnung, die Hitchcocks Helden von den „39 Steps“ bis hin zu „North By Northwest“ entgegenschlägt: Schauplätze werden manipuliert, keine will Personen gesehen haben, die gestern noch hier waren, bis die Wahrheit dennoch ans Licht kommt.

Dabei zeichnet Tezuka hier im weitgehend realistischen Stil, der nur in Momenten der Emphase und Symbolik (wie etwa bei Hitlers Reden, Gewaltszenen oder sonstigen Wendepunkten) die Stilisierung der früheren Mangas nutzt. Beim Kernelement der Handlung – der explosiven Enthüllung, dass Hitler jüdischer Herkunft gewesen sein könnte – bediente sich Tezuka der bekannten, oft kolportierten „Frankenberger-These“, die Hitlers ehemaliger Rechtsanwalt Hans Frank Mitte der 50er Jahre in seiner Autobiographie vorbrachte. Auch wenn die gewagte Konstruktion als mehr als wacklig gelten darf, bildet sie seither ein Füllhorn für immer neue Verwendungen, die auch Tezuka meisterhaft in seinen Thriller einwebt. Wie die Geschichte letztendlich ausgeht, werden wir noch erfahren: bei Carlsen erscheint das Werk aus den 80er Jahren in einer aufwändig eingerichteten Neuauflage in insgesamt drei Bänden, die jeweils um einen Abriss der historischen Ereignisse ergänzt sind. Band 2 liegt bereits vor, der Abschlussband steht in den Startlöchern. (hb)

Die Geschichte der 3 Adolfs, Band 1: Mord in Berlin
Text & Bilder: Osamu Tezuka
416 Seiten in Farbe, Softcover, Taschenbuch
Carlsen Verlag
19 Euro

ISBN: 978-3-551-77508-5

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