The Infinity Crusade (Panini)

August 23, 2018

Göttliche Fügung – oder tödliche Bedrohung? Das liegt wohl eher im Auge des Betrachters, als eine Grazie namens Goddess im (angeblichen) Auftrag des Herrn unterwegs ist. Für die Dame verantwortlich zeichnet niemand anders als Adam Warlock selbst: als der kurzfristig den Infinity Gauntlet in seinen Besitz brachte, schwang er sich zum Wesen reiner Logik auf, indem er seine Emotionalität in eine gute und eine schlechte Seite abspaltete. Die bösen Aspekte kristallisierten sich in Form des Unholds Magus, während die positiven Elemente in der Verkörperung des Gutmenschen schlechthin ihren Ausdruck fanden – eben Goddess. Die wähnt sich nun als Instrument der göttlichen Vorsehung, verschafft sich diverse kosmische Körper und richtet von einer geheimen Basis mächtige Telepathie-Strahlen auf die Erde. Alle Helden, die tiefere religiöse Überzeugungen oder traumatische Erlebnisse hinter sich haben, zeigen sich plötzlich empfänglich für die Suggestion der holden Prophetin: alles Böse im Universum will sie auslöschen – und diesem kosmischen Kreuzzug sollen sich möglichst viele Kämpfer anschließen.

Und so verschwinden denn auch Kämpen wie Dr. Strange, Spider-Man, Sue Storm, Thor, der Silver Surfer, Captain America und Moondragon unvermittelt aus den Reihen ihrer Lieben und finden sich auf einer bizarren Welt wieder: hinter der Sonne hat Goddess ihr Paradise Omega geschaffen, von wo aus sie den Kreuzzug führen will – wofür sie aus den dreißig erbeuteten kosmischen Körpern das mächtige kosmische Ei formt, das es fast mit dem Infinity Gauntlet aufnehmen kann. Als die restlichen Helden der Erde den Verbleib ihrer Kampfgefährten entschlüsseln, machen sich Mr. Fantastic, Vision und Iron Man auf nach Paradise Omega, blitzen da aber gnadenlos ab. Einstweilen schart Adam Warlock die Infinity Watch in Person von Drax, Gamora und Pip dem Troll um sich und geht sogar eine unheilige Allianz mit dem wahnsinnigen Titan Thanos und dem fiesen Mephisto ein, um Goddess aufzuhalten – immerhin steht nichts weniger als die Existenz des Universums auf dem Spiel, wie wir es kennen…

Kann das Gute ohne das Böse existieren? Korrumpiert absolute Macht absolut? Diesen uralten existentiellen Fragen ging Jim Starlin nach, als er 1993 den dritten und (zumindest für einige Zeit) letzten Teil seiner Infinity-Reihe vorlegte. Standen beim Infinity Gauntlet und Infinity War noch das Ringen des Titans Thanos um die Allmacht im Universum im Mittelpunkt, schwenkt Starlin nun auf religiöse Aspekte und stellt mit Goddess eine vermeintliche Heilsbringerin in den Fokus, die alle Charakterzüge eines gewieften Sektenführers aufweist. Gezielt sucht sie Helden mit Hang zur Mystik, aber auch Selbstzweifeln, Schwächen oder traumatischen Erlebnissen (Sue Storm etwa hat ihr Kind verloren, der Silver Surfer war schon immer der Philosoph schlechthin – bei Haudegen wie dem Hulk oder dem ewigen Zyniker Wolverine beißt sie natürlich auf Granit), die für die angebliche göttliche Erleuchtung empfänglich sind, und macht sie per Telepathie-Strahl gefügig – der Weg zu in der Realität leider allzu geläufigen Phänomenen wie Gehirnwäsche und Drogen induzierten Massenhysterien scheint hier nicht allzu weit.

Wer nicht für Goddess ist, ist gegen sie, und schnell wird der Krieg gegen alle Ungläubigen ausgerufen, wie wir das ja leider sattsam nicht nur aus der Historie kennen (nicht umsonst erinnert die Gestaltung der Möchtegern-Heiligen an die gängigen Darstellungen der Jeanne d’Arc, komplett mit Kurzhaarschopf und Rüstung). Die philosophischen Aspekte werden dabei in verteilten Rollen ausgetragen: der alte Optimist und Weltverbesserer Professor X mahnt an, dass die Absichten der selbsternannten Göttin doch eigentlich lauter seien – würde nicht jeder Held gerne das Böse einfach ausmerzen? Es fällt ausgerechnet den Fieslingen Thanos und Mephisto zu, hier gegenzuhalten: „Das Böse ist die Kehrseite des Guten. Nur eine Irre würde glauben, dass man das Böse tilgen kann, aber das Gute verbleibt.“ Gewohnt rational trägt Reed Richards die erkenntnistheoretische Einsicht vor: wer sich einer fremden Allmacht ergibt, der gibt seinen freien Willen auf. Und dass uneingeschränkte Macht dem Geiste gar nicht bekommt, davon kann Thanos selbst eindrucksvoll künden.

Diese existentiellen und religiösen Themen kleidet Starlin in sein gewohnt spektakuläres, Welten umspannendes Setting, in dem – natürlich – wieder das ganze Universum auf dem Spiel steht und in dem alle Helden der Erde aufgeboten werden – dieses Mal nicht vereint gegen einen irren Titan, sondern entzweit gegen sich selbst. Wie immer universell aufwendig inszeniert von Ron Lim, bietet auch dieser letzte Teil der ersten Infinity-Trilogie flotte intergalaktische Action, deren insgesamt sechs US-Einzelhefte hier erstmals in deutscher Sprache versammelt vorliegen. Damit wäre also die Infinity-Reihe im Regal geschlossen. (hb)

The Infinity Crusade – Das ewige Paradies
Text: Jim Starlin
Zeichnungen: Ron Lim
260 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
24,99 Euro

ISBN: 978-3-74160-650-2

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