Harte Zeiten für die Familie Leveret. Gerade ist die Großmutter, ihres Zeichens Angehörige des Ältestenrates, gestorben, da beginnen sich weitere Auflösungserscheinungen zu zeigen. Vater Stote arbeitet für das verbrecherische Konsortium als gewalttätiger Schuldeneintreiber, der Elfen und Leprechauns gleichermaßen rabiat anfasst. Die Sprösslinge gehen durchaus getrennte Wege: während Fig sich weiter in den Straßenbanden herumtreibt, wird Tael vom nun regierenden Ältesten Noro im Hohlen Hügel in die Reihen der Nicht-Elfen rekrutiert, die die Banden bekämpfen sollen, die Vermintown angeblich mit dem omnipräsenten Rauschgift Grein überschwemmen. Stotes Schwester Sal geht weiter ihren eigenen Weg bei der Polizei, komplett mit zähneknirschender Affaire mit dem Chef, einiges an Regelbrüchen und Trauer um den ermordeten Kollegen Breekle Macklush, der bei einem Hinterhalt ums Leben kam. Sal hat so ihre erheblichen Zweifel an der offiziellen Lesart, dass die Slum-Bewohner von Bogside und die Banden hinter der Grein-Plage stecken.
Auch die beiden Jungs Fig und Tael entfremden sich zunehmend vom Vater und auch ihren vermeintlichen neuen Familien: Tael muss miterleben, wie der angebliche weise Noro gewissenlos tötet, und Fig wird aus der Band der Spinners geworfen, weil er zu viele interne Regeln verletzt. Jeweils unabhängig sammeln Fig, Tael und Sal Hinweise auf eine gewaltige Intrige hinter den Kulissen: das Konsortium schickt Stote auf rein politisch motivierte Morde, die offenbar dazu dienen, unangenehme Wahrheiten zu verschleiern; Noro paktiert im Geheimen mit Haohl, dem Anführer der White Tops-Bande, den Fig aus Rache für einen Freund tötet; und Sal nutzt einen verbotenen Glimmer-Zauber, der ihr zeigt, dass auch der korrupte Polizeichef in die Sache verwickelt zu sein scheint. Alles scheint sich zuzuspitzen, als bei einem absichtlich arrangierten großen Treffen, einem Allmeet, die Boggarts und Banden ein für alle Mal ausradiert werden sollen…
Glimmer, Glanz und Gloria: von wegen. Auch in Teil 2 von Simon Spurriers (u.a. „X-Men Legacy“, „Crossed“) bitterböser schwarzer Anti-Fantasy-Welt herrschen Selbstsucht und Verbrechen. Nachdem ja keiner mehr an Feen, Elfen und anderes Zeug glaubt, leben diese kleinen Wesen im Slum von Vermintown, wo das Recht des Stärkeren regiert. Dabei bilden sich (bezeichnenderweise) menschliche, allzu menschliche Verhaltensweisen und Muster heraus: Korruption galoppiert, diverse Interessensgruppen bemänteln ihre Vorgehensweise wahlweise mit Bürgerschutz oder Aufrechterhalten der Moral, und das Wohl des Einzelnen zählt dabei einen Dreck. Dass sich eine gewaltige Verschwörung in Vermintown breitgemacht hat, sickert an allen Ecken und Enden durch: so etwa findet Stote in der Wohnung eines seiner Opfer einen Daumen, der offenkundig einem Menschen abgetrennt wurde, verbotene Glimmer tauchen überall auf – es ist etwas ganz gewaltig faul im schmutzigen Feenland.
Auch sprachlich brennt Spurrier wieder ein Feuerwerk ab, zu dessen Übersetzung man Jens R. Nielsen nur noch gratulieren kann: Anspielungen, verdrehte Satzkonstruktionen, Wortneuschöpfungen allenthalben: man kauft Grein mit Klingel, der Glimmer zaubert, Elfen stauben aus (dh. sterben), und der Slang der Banden ist ohnehin mehr als farbig. Optisch zwar im Fantasy-Stil, aber ruppig und gewalttätig von German Erramouspe inszeniert, liefert Simon Spurrier eine im wahren Wortsinne entzauberte Fantasy-Welt, die mit dem Disney-Film gleichen Titels aber so gar nichts zu tun hat. Im Verlag von Josch Dantes erscheint auch dieser abschließende Band des Zweiteilers hübsch aufgemacht als Hardcover mit einem Anhang, der die wildesten Wortschöpfungen und Anspielungen erklärt. (hb)
Disenchanted, Band 2
Text: Simon Spurrier
Bilder: German Erramouspe
148 Seiten in Farbe, Hardcover
Dantes Verlag
22 Euro
ISBN: 978-3-946952-54-1