Spanien, irgendwo im Gebirge: in der Festung des Ordens derer von Heliopolis tritt ein Jünger zu Kampfesprüfungen an, die seine endgültige Eignung für den Orden beweisen sollen. Der nur als „17“ bezeichnete Jüngling besteht alle Tests mit Bravour, worauf sein Mentor schließlich das Rätsel der Herkunft seines Schützlings lüftet – er erklärt seinen staunenden Ordensbrüdern, dass man niemand anders als Ludwig XVII vor sich hat, rechtmäßiger König von Frankreich. Der wurde seinerzeit unter reger Mithilfe des italienischen Alchemisten Fulcanelli, Mitglied derer von Heliopolis, erzeugt – als sich Ludwig XVI und seine Holde Marie-Antoinette damit schwer tun, einen Erben zu produzieren, greift ihnen Fulcanelli mit praktischen Ratschlägen und Tinkturen tatkräftig unter die Arme. Dumm nur, dass der König seine frisch gefundene Manneskraft auch anderweitig auslebt und sich ausgiebig mit Charlotte, der Tochter des Hofbäckers, vergnügt.
Auch aus dieser aushäusigen Liaison entspringt ein Kinde, das just am gleichen Tag geboren wird wie der königliche Statthalter – der seinerseits für Aufsehen sorgt: als Hermaphrodit ist er ein Heilsbringer der Alchemisten, auf den Fulcanelli fortan ein Auge hat. Nachdem die royale Mama selbst unfähig ist, ihren Kleinen zu stillen, greift man kurzerhand auf die Tochter des Müllers als Ziehmutter zurück, die dafür ihren eigenen Sohn zurücklässt, der im Hundestall quasi als Wolfskind aufwächst. Die Französische Revolution wirbelt diese Dekadenz dann ordentlich durcheinander: der König und seine Holde landen auf der Guillotine, der Thronfolger in der Bastille. Von dort befreit ihn dann der besorgte Fulcanelli mit einem Trick: man tauscht den Gefangenen flugs gegen den heillos zurückgebliebenen Sohn Charlottes aus, so dass Fulcanelli seinen Schützling zu seinen Ordensbrüdern bringen kann, wo das Geheimnis des ewigen Lebens lockt…
Historie, Fantasy, Sex and Crime: diese Ingredienzien mischt Metabarone- und Incal-Erfinder Alejandro Jodorowsky in seinem neuen Opus virtuos zusammen. Da fügt sich ein Sittenbild der verderbten Hofgesellschaft, die sich rücksichtslos nimmt, was sie will – von schlichten materiellen Vorzügen bis hin zu erotischen Beutezügen und Familientrennung – mit einem Blick in die immer faszinierende Welt der Logen und Geheimbünde zusammen: die Ritter von Heliopolis halten sich offenbar Fabelwesen (17s Kampf richtet sich gegen einen intelligenten Gorilla – Grodd lässt grüßen) und haben das Rätsel der ewigen Jugend entschlüsselt.
Dazu kommt eine Prise Mantel- und Degen-Roman vom Stile eines „Mann in der eisernen Maske“, wobei Jodorowsky eine geschickte Variante der historischen Realität bastelt: der geschichtlich verbürgte Louis Charles de Bourbon, zweiter Sohn von Louis XVI und Marie Antoinette, landete nach dem Tod seiner Eltern in der Tat im Gefängnis und starb dort 1795 im Alter von gerade einmal 10 Jahren. Da die Umstände seines Todes durchaus dubios blieben, gaben sich noch Jahre später Dutzende von Hochstaplern als Louis Charles aus, um die das Verschwindens des Kindes für ihre Zwecke zu nutzen. Hieraus baut Jodorowsky seine alternative history, die Jérémy (u.a. „Barracuda“) akribisch, ausladend und eindrucksvoll in Szene setzt, oft in doppelseitigen Panels, mit jeder Menge Details und auch atmosphärisch stimmigen Portraits der dekadenten Hofgesellschaft, die von der mysteriösen Vitalität der Ritter wirkungsvoll konstrastiert wird. Und nebenbei: jede Geschichte, in der das Wort „Popanz“ vorkommt, kann nur gut sein. Band 2, „Albedo, das weiße Werk“, ist in Vorbereitung. (hb)
Die Ritter von Heliopolis, Band 1: Nigredo, das schwarze Werk
Text: Alejandro Jodorowsky
Bilder: Jérémy
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
15,80 Euro
ISBN: 978-3-96219-219-8