Jerusalem (Panini)

August 21, 2015

Jerusalem (Panini)

Palästina, gelobtes Land, Zion, ewiger Krisenherd. Wie auch immer man das Gebiet bezeichnen möchte, das spätestens in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum immerwährenden Konflikt geriet: die Stadt Jerusalem war immer symbolträchtig, mit ihrer Klagemauer, der Geburtskirche und anderen Heiligtümern. Schon 1945 ist das Leben im Britischen Mandat Palästina alles andere als einfach – vor allem dann, wenn auch noch innerfamiliäre Streitigkeiten dazukommen. Die Brüder Yakov und Izak Halaby wachsen in einem spannungsbelasteten Verhältnis auf: da der Vater Rabbi Ismael Halaby seinen zweiten Sohn Izak bevorzugte, bringt Yakov seinem Bruder nur Verachtung entgegen, die so weit geht, dass er ihn in einer kleinen Wohnung im bunten gewürfelten Vorort Mahane Yehuda unterbringt und ihn dort, wenn die Miete nicht pünktlich kommt, gerne auch mal pfänden und seine Habseligkeiten verkaufen lässt. Izaks ägyptische Frau Emily leidet unter Armut und Verachtung, was sie weidlich an ihrer Familie, bestehend aus nicht weniger als fünf Kindern, auslässt. Was wiederum die Sprösslinge allerdings nicht daran hindert, sich mit ihrem Neffen Jonathan anzufreunden.

Im April 1945 greift das politische Weltgeschehen zunehmend in die Privatsphäre der Familie Halaby ein: der kleine Motti eckt zunehmend in der Schule an, der Postbeamte Ezra beteiligt sich an aufrührerischen Flugblattaktionen, und die notgedrungen zusammenlebenden Araber und Juden liefern sich immer weitergehende Auseinandersetzungen. Die auf dem Rückzug begriffenen Engländer sehen sich einer immer feindlicheren Stimmung gegenüber, angeheizt nicht nur vom Freiheitskampf, sondern auch von der aufkeimenden kommunistischen Bewegung, die sich in Demonstrationen und Arbeitskampf Bahn bricht. Schnell kommt es zu Anschlägen, an denen auch die älteren Halaby-Brüder Avraham und Ezra beteiligt sind und die immer blutigere Wirkung zeigen. Da tritt plötzlich Sylvia auf, eine schwangere junge Frau aus Italien, die behauptet, die Frau von David Halaby zu sein, der in Europa Juden zur Flucht verhilft. Im November 1947 eskaliert die Lage schließlich vollends: nach dem positiven Votum der Vereinten Nationen, die Region in einen arabischen und einen palästinensischen Staat aufzuteilen, bricht offen der Bürgerkrieg der Nationen aus, in den auch die Halabys hineingezogen werden. Immer gewaltsamer führt man Häuserkampf, erobert Orte wie Deir Yassin und belagert Jerusalem, bis der Tod auch zur Familie Halaby kommt…

In dieser monumentalen Graphic Novel verarbeitet Boaz Yakin – eigentlich zu Hause im Filmmetier, u.a. Regisseur des Rassendramas ‚Gegen jede Regel‘ (Remember The Titans) und Produzent des lauschigen Horrorstreifens ‚Hostel‘ – seine eigene Familiengeschichte und spannt den Bogen über die formativen Jahre 1945-1948 in Jerusalem, eine Szenerie, die auch schon bei Luca Enochs ‚Stern-Bande‘ (ebenfalls bei Panini) teilweise den Hintergrund abgab. Dabei gelingt ihm durch den Fokus auf die privaten Geschicke, die bis heute andauernden, kaum lösbaren Konflikte der Region in ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit zu kristallisieren: es gibt nicht richtig oder falsch, auch wenn mit der Familie Halaby der Blickwinkel auf die jüdische Seite gelegt ist, erscheinen auch hier fehlgeleiteter Hass und Aggression die Wurzel der Tragik.

Das persönliche Glück wird durch Standesdenken und Rivalität mindestens ebenso unterminiert wie durch die politischen Umstände, in die sich die jungen Männer nur allzu gerne stürzen, um Land und ein nicht näher definiertes Vermächtnis zu verteidigen. Juden, Araber und andere Volksgruppen stehen sich in einer Spirale der Gewalt unversöhnlich gegenüber, die Engländer ziehen sich nach dem Votum der UN aus der brenzligen Situation flugs zurück und überlassen die Region ihrem blutigen Schicksal, das Nick Bertozzi jenseits aller verklärenden Romantik vor allem in den teilweise schockierenden Szenen von Bombeneinschlägen und zerfetzten Körpern in reduziertem Schwarz-Weiß-Stil stimmig evoziert. Und am Ende steht dann doch wieder die ganz persönliche Tragik des kleinen Motti, für den das Schicksal einen besonders schweren Schlag bereit hält: das Opfer, so erleben wir es, das ist immer die Menschlichkeit, egal in welchem Konflikt und mit welcher Rechtfertigung. Somit bietet die voluminöse Graphic Novel auf 400 Seiten jenseits einer bewegenden Familiensaga und historischer Einblicke zeitlose Gedanken über Menschsein in aufwühlenden Zeiten. (hb)

Jerusalem: Ein Familienporträt
Text: Boaz Yakin
Bilder: Nick Bertozzi
404 Seiten in schwarz-weiß, Hardcover
Panini Comics
29,99 Euro

ISBN: 978-3-95798-328-2

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