Warum kämpfen Superhelden für das Gute? Was treibt sie an, Menschen zu retten, Schurken zu fassen? Traumata in Kindheit oder Jugend? Sicher. Ehre, Ruhm? Auch das. Schlechtes Gewissen? Klar. Und Geld. Geld, um das Auskommen zu sichern. So einfach ist das. Superheld – ein Job wie jeder andere: der Kohle wegen. Umso mehr, wenn Rächer sein gar nicht bezahlt wird, und SHIELD-Jobs nur schlecht. Was also tun, wenn man Natasha Romanoff heißt und als Black Widow bekannt ist? Klar, man arbeitet im angestammten Spionage- und Söldner-Geschäft.
Zumal Natasha auch das Geld benötigt, um sich von den Sünden ihrer Vergangenheit als KGB-Agentin reinzuwaschen. Oder zumindest, um die Familien ihrer Opfer finanziell zu entschädigen. Dabei hilft ihr Isaiah Ross, ein findiger, wie gewitzter Anwalt. Der verwaltet ihre Kohle und schickt sie gegen Bares weltweit auf heikle Missionen, die immer wieder Überraschungen bieten. Oft unliebsame für Black Widow und immer wieder willkommene für den Leser. So entpuppt sich ein Häftling, den sie in Argentinien aus dem Gefängnis befreit, als altbekannter Mörder der Junta. Ein potentieller Killer wird zu einem Schützling und nicht wenige Situationen gehen gerade noch so glimpflich aus, ihrem Geschick und ihrer weisen Voraussicht sei Dank. Und jetzt tritt doch noch SHIELD auf den Plan – genau, die, die schlecht bezahlen. Direktorin Maria Hill beauftragt sie mit einem vermeintlich langweiligen Job. Doch dann wird die ukrainische Botschaft vor ihren Augen gesprengt und sie trifft auf einen irren Ex-Mönch, scheinbar schmerzfrei und unbezwingbar. Hinter diesem steckt ein alter, fast vergessener Gegner und wiederum dahinter eine neue, beinahe allmächtige, bisher unbekannte Organisation. Stichwort: „Chaos fällt wie Regen“. Fortsetzung folgt.
Eben dieser mysteriöse neue Gegner ist der rote Faden, der sich durch die einzelnen Geschichten zieht, von denen einige auch einzeln für sich stehen. Die Schwarze Witwe ist geplagt von den Geistern ihrer Vergangenheit. Sie sühnt, ist mitunter desillusioniert und lakonisch, gibt ihr Geld weiter an ihre früheren Opfer. Das müssen zahlreiche sein, denn sie ist ständig klamm, so als ‚nur‘ B-Rächer. Deshalb nimmt sie alles an, was sie kriegen kann. So entgeht bei ihren Missionen auch einiges ihrer Aufmerksamkeit, sie macht Fehler, ist unachtsam, tappt in Fallen, wird mitunter selbst zum Spielball. In den kurzen Stunden zuhause bandelt sie mit einer herrenlosen Katze an und droht dem gewalttätigen Ehemann der Nachbarin. Ganz ohne Superhelden-Pathos und schlaue Sprüche. Schön, dass sich Helden noch mit derlei Gewöhnlichem beschäftigen, so ganz abseits von Universen erschütternden Mega-Events, die alljährlich über Superhelden-Leser hinweg donnern, ob gewollt oder nicht.
In Szene gesetzt ist die Story meist mit zarten Bildern und weichen Farben – die Kunst Phil Notos kommt klar zum Tragen, man merkt dass der Mann was auf dem Kasten hat, nicht nur als verdienter Cover-Zeichner. Im Kontrast sind die Nachtszenen kräftig getuscht, hier herrscht schwarz vor. Edmondson und Noto stellen die – wie sie selbst sagt – Teilzeit-Rächerin nicht als gut gebaute Sexbombe im engen Latexanzug dar. Sie ist hübsch (gezeichnet) keine Frage, trägt aber auch gerne mal Normalo-Kleidung und sieht eher aus wie die freundliche Heldin von nebenan. Wobei die Action nie zu kurz kommt, die die abwechslungsreiche Story gekonnt abrundet. Neben den Neustarts von Hawkeye (den ersten Megaband kann man gar nicht genug loben), der hier einen witzigen Kurzauftritt hat, Moon Knight und Elektra (dazu demnächst mehr) ist Black Widow eine weitere Serie mit einem/einer Helden/Heldin aus der zweiten Reihe, die durch einen bestimmten, unkonventionellen Zeichenstil geprägt und als Projekt angelegt ist. Marvel beweist damit erneut Mut und Stil und landet verdientermaßen wieder einen Volltreffer. Als Dreingabe gibt es einige der US-Variant-Cover, wobei jenes von Altmeister Milo Manara klar heraussticht. (bw)
Black Widow, Band 1: Schuld und Sühne
Text: Nathan Edmondson
Bilder: Phil Noto
148 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
16,99 Euro
ISBN: 978-3-95798-160-8