Wraith (Panini)

April 7, 2015

Wraith (Panini), von Joe Hill

Fahrbare Untersätze gibt es viele, aber wirklich legendäre Fahrzeuge nur sehr wenige. Und wir sprechen jetzt nicht von den ungehobelten Muskelprotzen der Familien Ferrari und Co. – wenn es um Noblesse und Stil geht, reicht eben nichts an die Gefährte heran, die die Herren Charles Rolls und Henry Royce seit 1904 mit dem Anspruch zusammenbastelten, schlichtweg die besten Autos der Welt zu bauen (was von einem gewissen bayrischen Unternehmen, an dessen Geschicken ich nicht unbeteiligt bin, seit 2000 nicht ganz erfolglos fortgeführt wird – soviel Werbung muss erlaubt sein). Dabei ersannen die Kollegen höchst geisterhaft-ominöse Namen: anstelle schnöder Typen oder Manta/Escort-Entgleisungen hörte man hier auf so klangvolle Bezeichnungen wie Ghost oder Phantom – der fast schon überirdische Anspruch der Fahrzeuge sollte schon im Namen erkennbar sein. 1938 brachte man schließlich den Wraith auf den Markt (ungefähr zeitgleich nannte ein anderer Engländer seine geisterhaften schwarzen Reiter Ringwraiths – aber ob das zusammenhängt, können wir hier nicht auch noch ergründen), und einen solchen erwirbt – zumindest will es Autor Joe Hill so – der Chaffeur Charlie Manx während der großen Depression.

Das Auto ist ein Schnäppchen, der Vorbesitzer, ein Banker, hat sich nach dem großen Crash darin umgebracht. Trotzdem steht der Kauf unter einem schlechten Stern, ist Manx doch einem Schwindel aufgesessen: er hat sich 10.000 Dollar geliehen, um dafür Anteile an Christmasland zu kaufen, einem Vergnügungspark mit angeblich sagenhaften Gewinnaussichten für alle Investoren. Hoffnungsfroh macht er sich mit Frau und beiden Töchtern in seinem neuen Auto auf den Weg, nur um festzustellen, dass anstelle eines Freizeitparadieses nur öde Landschaft hinter zwei großen Plastik-Zuckerstangen steht. Aber schon auf dem Weg stellt sich heraus, dass Manx in ganz besonderer Verbindung zu seinem Wraith steht – der geliebte Wagen transportiert ihn in seine Traumwelt, in der Kinder Reißzähne haben, nörgelnde Ehefrauen gefressen werden und Christmasland als höllischer Vergnügungspark eben doch existiert… Sprung vorwärts, 1988: ein Gefangenentransport, der drei verurteilte Knackis ins Gefängnis bringen soll, geht daneben. Der durchgedrehte Geek Sykes, der auf Jahrmärkten Glühbirnen und Tauben frisst, zettelt einen Ausbruch an, bei dem der Transporter zerstört und ein Polizist schwer verletzt wird. Aber Sykes hat eine Idee: er kennt jemand, der garantiert jeden spurlos verschwinden lassen kann.

Dieser Driver kommt kurz darauf in der Tat an den Ort des Geschehens, und zwar in einem mustergültig gepflegten Oldtimer. Niemand anders als ein monströs grinsender Charlie Manx ist es, der den ungleichen Trupp mit seinem Wraith aufsammelt und in Richtung Christmasland transportiert. Auf dem Weg dahin wird immer deutlicher, dass die Straße dorthin in eine Art Zwischenwelt führt, in den kristallisierten Alptraum von Manx, in dem die Kinder, die den Park in Scharen bevölkern, monsterhaft aussehen, nie alt werden und Besucher niemals wieder gehen können. In Christmasland angekommen, werden die Flüchtigen mit ihren Dämonen konfrontiert: der ehemalige Lehrer Chess Llewellyn hat seinen Sohn verloren und dafür einem Arzt, der sich weigerte, den Jungen zu untersuchen, die Hände gebrochen (verständlich und nachvollziehbar). Der Filmproduzent Dewey hat eine 14jährige in seinen Swimmingpool gelockt und dort vergewaltigt (abartig). Und Sykes ist sowieso jenseits von allen Normen – weshalb Manx allzu gerne auf den Notruf gehört hat: in seiner verdrehten Welt beschützt er die Geister der Kinder, die er nun auf alle hetzt. Chess gelingt es, sich ins Riesenrad zu retten, wo er mit der Polizistin Agnes den Moment zur Flucht abwartet, während ihr Kollege und der Kinderschänder Dewey unten zerfleischt werden. Da kommt ihnen der Geist seines toten Sohnes zu Hilfe – er sendet ihnen Ballons, gefüllt mit dem erfundenen Gas, von dem der verzweifelte Vater dem sterbenden Jungen auf dem Weg ins Krankenhaus erzählte. Der besserwisserische Sykes erfährt derweil im apokalyptischen Finale, was Manx genau damit meinte, als er feststellte, nur er sei würdig, den Wraith zu lenken…

Joe Hill kann seine Herkunft wahrlich nicht verleugnen: nicht nur sieht er seinem Vater Stephen King wie aus dem Gesicht geschnitten aus (inkl. Nerd-Norbert-Blüm-Kassengestell-Brille), nein, er bedient sich für seine Erzählungen, Romane und Graphic Novels (sein Hauptwerk im Comic-Sektor ist die Reihe ‚Locke & Key‘, die bei Panini in sechs Bänden komplett vorliegt) auch gerne aus dem Fundus der alptraumhaften Phantasie des Herrn Papa: die Idee des haarsträubenden Vergnügungsparks kennen wir nicht nur aus Ray Bradburys ‚Something Wicked This Way Comes‘ (dt. ‚Das Böse kommt auf leisen Sohlen‘), sondern auch vom grinsenden Horrorclown Pennywise aus Kings epischem Werk ‚Es‘. Die ewig jungen, monströsen Kinder scheinen dem ‚Friedhof der Kuscheltiere‘ entsprungen, das Auto mit übersinnlichen Fähigkeiten kreuzte schon als ‚Christine‘ auf den Straßen von Maine, und einen wildgewordenen Horror-Zoo haben wir im Finale von ‚Shining‘ erlebt. Aber es würde Herrn Hill sehr Unrecht tun, nur eine bloße Ansammlung von Motiven zu suchen: in diesem Prequel zu seinem Bestsellerroman NOS4A2, in dem das höllische Christmasland und sein Zampano Manx die Hauptrolle spielen, kreiert er eine ganz eigene, suggestive Welt, halb real, halb Alptraum, in der Manx nicht ein bloßes Monster erscheint, sondern eine geschundene Seele ist, die ihrem Traum nachjagt und ihn dank des Wraith in pervertierter Form wahr werden lässt: er bietet seinen – und anderen – Kindern ewiges Glück und eine nie endende Kindheit, die Verbrecher wie Dewey und Sykes ihnen rauben, weshalb Manx seinen ehemaligen Spießgesellen absichtlich allzu gerne in sein Verderben lockt.

Chess dagegen entkommt, weniger durch Klugheit als vielmehr durch die Liebe zu seinem Sohn, dessen Verlust er durch die monströsen Erlebnisse erst verwindet. Viel Schuld und Sühne also, die auch in dem – sehr eindrucksvoll als bebilderte Erzählung gestalteten – Epilog zutage tritt, der zeigt, wie der Trickbetrüger Nick leMarc (von dem Manx einst die Schnapsidee bekam, sich an Christmasland zu beteiligen) durch persönliche Tragödien zu dem wurde, was er ist – was Manx nicht davon abhält, ihn auch ins Nimmerland zu befördern. Insgesamt kann man der zeichnerischen Gestaltung durch Charles Paul Wilson III nur höchste Anerkennung zollen – die Panels passen sich dem Geschehen an, von anfangs realistischen Zeichnungen zieht sich der Faden über stilisiert-expressionistische Bilder bis hin zu einer symbolischen Darstellung eines Labyrinthes, durch das Chess und Agnes fliehen (gespickt mit Verweisen, von ‚Shining‘ bis hin zu einem eingefrorenen Captain America). Waren Hills Graphic Novels ‚Das Cape‘ und ‚Das Cape 1969‘ noch geschickte Dekonstruktionen des Heldenmythos, zeigt Wraith, wie leicht man in eine alptraumhafte Scheinwelt gleitet und in ihr verloren geht, wenn sich das vermeintlich sichere Gefüge der Realität und der Existenz auflöst. Und das, meine Lieben, ist wahrlich keine Gutenacht-Geschichte. (hb)

Wraith – Todesfahrt ins Christmasland
Text: Joe Hill
Bilder: Charles Paul Wilson III,
172 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
19,99 Euro

ISBN: 978-3-95798-199-8

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