Alles beginnt mit vermeintlicher Routine. Denn auch ein Superheld muss seine Brötchen verdienen. So macht sich Peter Parker, unser liebster Spider-Man, auf zu einem ganz normalen Foto-Job. Als er das Haus seines Auftraggebers betritt, landet er unvermittelt und ohne jegliche Vorwarnung in einem Alptraum. Ein unbekannter Drahtzieher, so enthüllt ihm der Schurke Arcade, hat 99 Feinde Spider-Mans (also alle?) mobilisiert und ‚angemietet‘. Gegen die muss Spidey bestehen, sonst droht eine Katastrophe in Form einer Bombe.
So findet er sich nach einer ersten Klopperei im Haus in einem Flugzeug wieder. Dort wartet u.a. Sandman auf ihn. Weiter geht’s für den inzwischen schon arg vermöbelten Helden in einem U-Boot. Carnage und Venom stellen sich ihm entgegen, nur seltsam lustlos. Sie scheinen auch unfreiwillig hier zu sein. Dann trifft er auf Nitro. Der meint es schon ernster, doch wieder kann Spider-Man entkommen. Auf eine unbekannten Insel in ein Strandhotel. Dort wartet Kraven der Jäger auf ihn. Mit Hilfe von Owl versucht er von der Insel zu fliehen und stellt, nachdem Kraven ausgeschaltet und die Restgegner erledigt sind, auf Malta schließlich den Auftraggeber und Initiator des ganzen Alptraums. Wer kann das anders sein als…???
Matt Kindts Story ist nicht unbedingt überraschend, der Schluss vorhersehbar. Eigentlich kommt nur einer aus dem Spidey-Hass-Club in Frage. Aber ganz ehrlich – die Geschichte ist hier auch nur Nebensache und dient als Mittel zum Zweck für die… Zeichnungen! Denn hier macht nicht der Ton, sondern das Bild die Musik. Und das ist spektakulär. Die übliche Panelstruktur wird konsequent über den Haufen geworfen. Jede Seite/Doppelseite ist durch choreographiert ein Designstück, bietet ein neues Sehabenteuer, das studiert werden will. Einige Doppelseiten widmen sich auch thematisch einem Superschurken: die Bildränder bei der Carnage/Venom Begegnung, die Eulen-Ornamente bei der Owl-Episode. Der Auftritt von Kraven und Owl ist zusätzlich mit dem ‚angepassten’ Gedicht The Tyger von William Blake verziert: Spider Spider Burnung Bright – eine Hommage an den Spider-Man Klassiker Kravens letzte Jagd (zuletzt auf Deutsch veröffentlicht als Nr. 10 der Offiziellen Marvel-Comic-Sammlung von Hachette).
So bleibt dem Leser nichts anderes übrig, als auf den Seiten zu verharren, deren Technik – auch eine Tour de Force – deren Geschichte zu begreifen und zu interpretieren. Das macht einen Heidenspaß und lässt die alptraumhafte Geschichte fast zur Nebensache werden. Auch die dabei von Marco Rudy (Swamp Thing) benutzten unterschiedlichen Stile zeugen von der großen Bandbreite des Zeichners: die reichen von Standard Superhelden-Look über feine Stricharbeiten (auch hier zu Beginn eine Hommage an Bernie Wrightsons Frankenstein), gemalte Bilder im Stil von Alex Ross, bis zu Ausflügen in die Videospielgrafik. Dazu kommen ungewöhnliche Perspektiven und das Einbinden von Texten und Wörtern in die Zeichnungen. Am ehesten erinnert das an den Stil und die Bilder eines David Mack – auch die Darstellung des Spinnensinns mit Dreiecken statt den üblichen Wellenlinien – der ja auch schon unter dem Marvel Knights Label, das hier wieder belebt wird, seinen Daredevil zeichnete.
Der Band ist ein Seherlebnis erster Güte, ein Spider-Man Titel für Fortgeschrittene. Bleibt die Frage: haben die Macher tatsächlich Doc Ock vergessen? (bw)
Marvel Knights: Spider-Man – 99 Prüfungen
Text: Matt Kindt
Bilder: Marco Rudy
112 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
14,99 Euro
ISBN: 978-3-86201-998-4