
Schon seit einiger Zeit feiert das Phantom auf dem hiesigen Comicmarkt ein furioses Comeback, widmen sich doch inzwischen diverse Verlage von Zauberstern bis zur Zack Edition hierzulande den zahllosen Abenteuern der Figur, die Lee Falk 1936 erdachte und die in den ersten Jahren von Raymond Moore gezeichnet wurde. Der neue Verlag ART:9 aus Österreich schließt hierbei nun eine entscheidende Lücke und bringt die allerersten Tagessteifen der Abenteuer des wandelnden Geistes komplett und chronologisch und damit erstmals vollständig auf Deutsch. Der erste Band der Klassiker Reihe, die im Querformat daherkommt und zwei Tagesstreifen pro Seite beinhaltet, umfasst die Strips vom 17. Februar bis 7. November 1936 und damit die erste Phantom-Story namens „Die Singh-Bruderschaft.“ Band 2 ist übrigens auch bereits erschienen, Band 3 für den November angekündigt.
Die „berühmte junge Entdeckerin“ Diana Palmer kehrt nach einer ausgedehnten Reise in die Südsee nach New York zurück. Mit einer wertvollen Fracht: 300 Pfund Ambra (das ist eine Substanz, die im Verdauungstrakt von Pottwalen entsteht, die früher bei der Herstellung von Parfum benutzt wurde und die ebenso selten wie wertvoll ist). Im Hafen wird Diana vom Schurken Fats Horgan und seinen Schergen überfallen, doch ein maskierter Fremder im Kostüm, der seit einiger Zeit in New York zugange und inzwischen in gewissen Kreisen gefürchtet ist, rettet sie: Das Phantom. Ihre Wege werden sich fortan mehrfach kreuzen, denn Diana ist weiterhin in Gefahr: Sie weiß auch um die Position eines Walfriedhofs in der Südsee, wo noch tonnenweise Ambra zu finden ist, was neue Begehrlichkeiten weckt, v.a. bei Prinz Achmed Singh, der einem uralten mafiösen Geheimbund angehört…
Es dauert lange bis die Story in für Phantom heimatliche Dschungel-Gefilde abbiegt. Zuerst befinden wir uns eine Zeit lang in New York, wo Prinz Achmed Singh Diana gewaltsam die Lage des Walfriedhofs abtrotzen will und dabei erwartungsgemäß scheitert, denn das Phantom (dessen Identität und Herkunft erst später enthüllt werden) ist so unsichtbar wie allgegenwärtig und damit stets zur Stelle, wenn Diana in Gefahr schwebt. Klar, dass sich hier eine nicht gerade unkomplizierte Liebesgeschichte zwischen den beiden entwickelt. Diana wird als starke Frau geschildert, die den Schurken trotzt, auch mit trockenem Humor und die später wie Flashs Dale Arden als Gefangene der Singh-Bruderschaft in exotische, knappe Kleider gehüllt ist.

Maskierte Helden und Schurken gab es damals bereits, Figuren wie Zorro oder Fantômas waren schon eine Weile unterwegs. Phantom besitzt zwar keine Superkräfte, gilt aber dennoch als direkter Vorläufer der Superhelden, deren Zeitalter erst zwei Jahre später mit Action Comics #1 unaufhaltsam beginnen sollte. Phantoms Auftritte sind anfangs dosiert, er ist gefürchtet und vermeintlich unsterblich (auch dieses „Geheimnis“ bleibt vorerst noch ungelöst) und schlägt (wortwörtlich) aus dem Dunkeln zu. Die fortlaufende Story gönnt sich naturgemäß kaum Atempausen, schließlich mussten die (Zeitungs-) Leser Tag für Tag und damit Strip für Strip bei Laune gehalten werden.
So haben wir hier ein Filmserial in Comicstrip-Form, das auch heute noch erstaunlich gut funktioniert und spannend zu lesen ist: Action, schillernde Bösewichte, eine komplizierte Liebesgeschichte, exotische Schauplätze und Schurken-Hauptquartiere und über allem der mysteriöse Held, der nach und nach seine Geheimnisse preisgibt. Dabei versammeln sich hier relativ schnell alle Ingredienzen, die die Reihe bis heute ausmachen. Die Totenkopfhöhle, Phantoms Freund Guran und sein treuer Wolf Devil, der Mythos des unsterblichen Phantoms, sein „prägender“ Ring. Und natürlich Diana, die mit dem Phantom schließlich eine Familie gründen wird.
Die aufbereiteten Zeichnungen von Ray Moore (die allerersten Strips zeichnete Lee Falk noch selbst) mögen auf dem den ersten Blick grob oder skizzenhaft wirken, zeigen sich bei näherem Studium aber als durchaus präzise, prägnant und dynamisch ausgeführt, was v.a. die späteren Strips erkennen lassen, in denen beispielsweise die Grauflächen besser abgesetzt sind. Und die Mode der Dreißigerjahre ist durchaus fesch anzusehen. Eine kleine Einführung in die Geschichte und deren Hauptfiguren steht den Strips vor, in Sachen Sekundär-Material dürfte hier aber noch einiges mehr drin sein. Bleibt zu hoffen, dass die Verkaufszahlen stimmen und der Verlag das ambitionierte Projekt durchziehen kann. (bw)
Phantom: Die Klassiker, Band 1
Text & Story: Lee Falk
Bilder: Ray Moore
120 Seiten in Schwarz-Weiß, Querformat, Softcover
ART:9 Edition
21 Euro
ISBN: 978-3-99099-900-4