
Hongkong, 1978. Shin Sang-ok ist einer der profiliertesten Filmregisseure Südkoreas. Nun reist er überstürzt in die britische Kronkolonie, weil seine Ex-Frau Choi Eun-hee, eine berühmte Schauspielerin, spurlos verschwunden ist. Er klappert die Filmstudios und Filmsets nach Hinweisen auf ihren Verbleib ab – ohne Ergebnis. Auch die Polizei ist ratlos. Dann trifft sein Fahrer Ringo einen Informanten, der angeblich weiß, wo Choi Eun-hee steckt. Eine Finte, wie sich schnell herausstellt. Denn Shin Sang-ok wird entführt und wie seine Ex-Frau heimlich nach Nordkorea gebracht. Dort gilt er nun als „Genosse“, wird isoliert und einer Gehirnwäsche unterzogen, wagt aber dennoch die Flucht, was krachend scheitert.
Schließlich trifft er nicht nur seine Ex-Frau wieder, sondern auch den kommenden Diktator, Kim Jong-il, der seinem Vater Kim Il-sung immer mehr „Regierungsgeschäfte“ abnimmt. Kim Jong-il, ein großer Filmfan, erklärt dem verdutzten Paar dann auch seine Aufgabe: die nordkoreanische Filmindustrie reorganisieren und wieder auf Vordermann bringen. Und erfolgreiche Filme drehen. Nolens volens machen sich die beiden an die Arbeit. Ihre nordkoreanischen Kinofilme werden tatsächlich zu Kassenschlagern, nun professionell inszeniert, mit immer mehr Aufwand und Mitteln. Dennoch bleiben die beiden, die auch privat wieder zueinander gefunden haben, Gefangene des Regimes, stets überwacht und abgehört. Aber auch der Drang nach Freiheit bleibt…

Der Witz an der Sache: Die abenteuerliche Geschichte, die Autor Fabien Tillon und Zeichnerin Fréwé (d.i. Frédérique Rich) hier erzählen, ist wahr. Tatsächlich wurde das prominente Film-Paar seinerzeit nach Nordkorea entführt (wobei auch gerne behauptet wird, dass Shin Sang-ok seiner Frau freiwillig nachfolgte), drehte dort über mehrere Jahre erfolgreich Filme, natürlich allesamt im geforderten patriotischen Duktus, gewann dadurch immer mehr Freiheiten, bis schließlich 1986 in Wien (!) die spektakuläre Flucht in die amerikanische Botschaft gelang. Kurios: Unter den Filmen, deren Thematik der kettenrauchende Kim Jong-il oft selbst vorgab, war mit „Pulgasari“ ein Godzilla-Klon (der Plastikdrache aus dem Titel), basierend auf einer nordkoreanischen Legende, der sogar mit Unterstützung von Mitarbeitern des japanischen Toho-Studios entstand und der auch im (nicht kommunistischen) Ausland gezeigt wurde.

So beschreibt der Band weniger den nordkoreanischen Alltag, sondern das vergleichsweise privilegierte Leben des Kino-Paars in einem immer mehr golden werdenden Käfig, mit Kim Jong-il als einer Art Protegé. Shin Sang-ok diskutiert mit dem kommenden Diktator über Filmtheorien und lässt sich von ihm seine gewaltige Filmsammlung zeigen. Die Freiheit ersetzt das freilich nicht, auch wenn er und seine Frau sich bei der Arbeit in gewisser Weise verwirklichen können (natürlich im ideologischen Rahmen). Aber nicht nur der erstaunliche Lebensweg des Paares (Shin Sang-ok hätte in den USA fast „Rambo“ gedreht) oder der seltene Blick auf Nordkoreas Filmindustrie erfreut den interessierten Leser. Im ersten Teil des Bandes nehmen uns die Autoren auch mit auf einen Streifzug durch das in seiner Blüte stehende Hongkong-Kino – so trifft sich Shin Sang-ok mit Tsui Hark, der gerade an einem seiner ersten Filme arbeitet. Faszinierend. (bw)
Der Diktator und der Plastikdrache
Text: Fabien Tillon
Bilder: Fréwé
160 Seiten in Farbe, Hardcover
bahoe books
26 Euro
ISBN: 978-3-903478-56-5