Das Rennen des Jahrhunderts (Splitter) | Comicleser

Das Rennen des Jahrhunderts (Splitter)

August 7, 2025
Das Rennen des Jahrhunderts (Splitter Verlag)

Man kennt vielleicht die Anekdote, die anlässlich der Olympischen Sommerspiele alle vier Jahre gerne aus der Schublade gekramt wird. Nämlich dass 1904, bei der dritten Auflage der Neuzeit-Olympiade in St. Louis, ein Marathonläufer, sogar der vermeintliche Sieger, einen Teil der Strecke mit einem Automobil gefahren ist und nur durch Zufall der Betrug entdeckt wurde. Die Geschichte stimmt tatsächlich. Aber während und rund um den besagten Marathonlauf geschah noch so viel mehr Bemerkenswertes und in der Sportgeschichte Einzigartiges, dass Autor Kid Toussaint und Zeichner José Luis Munuera damit problemlos ein ganzes 96-seitiges Album füllen konnten, das nun auf Deutsch im Splitter Verlag erschienen ist.

Viele der Geschehnisse rund um den Lauf sind heute, über 120 Jahre später, noch überliefert und als Fakten gesichert. Die meisten davon finden Einzug in diesen Band. Aber auch unbelegte Anekdoten, die sich um die Veranstaltung ranken, greifen Toussaint und Munuera auf. Und dichten noch Einiges dazu, was sie übrigens nicht verhehlen. Was nun machte den Lauf besonders? Das waren in erster Linie die widrigen Bedingungen, die ganz bewusst von den Organisatoren in Kauf genommen wurden, allen voran James E. Sullivan, dem Direktor dieser Olympischen Spiele.

Der wollte die Überlegenheit der weißen Rasse beweisen und außerdem in einem Feldversuch beobachten, wie sich Dehydrierung auf den Körper auswirkt: Also startete man nachmittags um 15 Uhr, als es am heißesten (32 Grad) und feuchtesten war. Die Streckenmarkierung innerhalb und außerhalb der Stadt war ungenügend. Die Route beinhaltete diverse Steigungen. Die Straßen waren extrem staubig und erschwerten das Atmen zusätzlich. Und als Krönung: es gab nur eine Verpflegungsstelle mit Wasser. All dies führte dazu, dass von den 32 Startern nur 14 ins Ziel kamen und der Sieger fast 30 Minuten länger brauchte als damals üblich. Und: der Gewinner Thomas Hicks wurde während des Rennens „gedopt“, und zwar mit Rattengift und Alkohol…

Wie setzen Kid Toussiant (u.a. Holly Ann, Elle(s), im Splitter Verlag) und José Luis Munuera (Spirou, Bartleby der Schreiber, Eine Weihnachtsgeschichte – bei Carlsen und ebenfalls bei Splitter) all das nun um? Anfangs werden einige der „prominenten“ Teilnehmer in kurzen Episoden vorgestellt: Der Kubaner und rasende Postbote Andarín Carvajal, der nicht mal Laufschuhe hat. Thomas Hicks, der Mann, der nie mehr Zweiter sein wollte, es aber fast immer wurde. Bis auf diesen Marathonlauf. Len Taunyane und Jan Mashiani, ehemalige Soldaten im Burenkrieg und die ersten schwarzen Olympiateilnehmer aus Afrika. Beide laufen barfuß. Frederick Lorz, ein Hallodri und Schürzenjäger und der spätere Betrüger mit dem Auto.

Dann geht es ans Rennen, in dem sich die Ereignisse schier überschlagen, die die Läufer immer wieder abzulenken wissen. Ob ein Bahnübergang, eine beinahe fatale Begegnung mit rassistischen Hillbillys, Hunde, Autos oder einfach nur der Hunger – heute erscheint das Rennen und dessen Verlauf nicht nur kurios, sondern auch amateurhaft. Was bestens unterhält und die Doku-Thematik stets auflockert: Die beiden Macher setzen das Geschehen wie auch dessen Protagonisten gerne mit einem leisen, bisweilen ironischen, humorigen Unterton in Szene, was bestens zu den leicht stilisierten, eben Munuera-typischen Figuren passt.

Nicht vergessen dürfen wir dabei die Farbgebung von Sedyas (d.i. Sergio Román) dem Haus- und Hof-Koloristen Munueras, der hier in erster Linie mit Erdfarben und Brauntönen arbeitet und damit ein stimmiges Gesamtbild schafft, das immer wieder an zeitgenössische Fotos oder Filmaufnahmen denken lässt. Zum guten Schluss blicken wir noch mit einigen Artikeln samt original-Fotos über den Lauf und dessen Teilnehmer hinter die Kulissen dieses einmaligen olympischen Kuriosums. (bw)

Das Rennen des Jahrhunderts
Text & Story: Kid Toussaint
Bilder: José Luis Munuera, Sedyas (Farben)
96 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
25 Euro

ISBN: 978-3-96792-018-5

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