Frontier (Splitter) | Comicleser

Frontier (Splitter)

Juli 22, 2025
Frontier (Splitter Verlag)

Irgendwann in der Zukunft haben die Menschen das Sonnensystem erobert. Triebfeder der Expansion ist der Abbau von Rohstoffen auf anderen Planeten, Asteroiden und Monden und die damit verbundene Gewinnmaximierung. Beides liegt in Händen mächtiger Konzerne, der Corporations, die eigene Raumstationen betreiben und mit Privatarmeen ihr Territorium auch rabiat verteidigen. Ji-Soo Park ist Weltraumarchäologin, unangepasst, eigenwillig. Auch ihre Firma wird von einem der Konzerne, Energy Solution, übernommen. Eine bittere Pille, die sie schlucken muss. Nach mehrfachen Versetzungen wird sie vom Konzern schließlich auf „Energy Breaker“, einer riesigen Station im Asteroidengürtel, aufs Abstellgleis geschoben.

Dort begegnet sie dem Arbeiter Alex, einem „Spacianer“, d.h. er wurde im All geboren und hat noch nie einen Fuß auf einen Planeten, auf gewachsene Erde, gesetzt. Alex schuftet in nicht ungefährlichen Außeneinsätzen für Energy Solution und freundet sich nach und nach mit Ji-Soo an. Dann ist da noch Camina, eine Söldnerin, die in einer der Privatarmeen angeheuert hat und die bei einem Einsatz einen Arm verliert. Sie quittiert ihren Dienst und sucht eine neue Aufgabe: gefährlichen Weltraumschrott sammeln und beseitigen. Bald treffen die drei aufeinander. Die drei und ein Äffchen…

Zuallererst müssen wir hier die Optik des Bandes ansprechen. Denn die fällt sofort ins Auge und muss erst einmal „akzeptiert“ werden, und das nicht wegen der stimmigen pastellfarbenen Kolorierung. Denn Autor und Zeichner Guillaume Singelin, Jahrgang 1987, verpasst seinen Figuren ein ungewöhnliches Aussehen, das irgendwo zwischen cartoonhaft und mangaesk daherkommt. Seine Figuren sind „Knuddelmännchen“ mit großen Köpfen, minimierten Gesichtszügen und winzigen Händen und Füßen (der Verlag spricht von Funko Pop und Chibi-Art – auch das). Doch das ist nur ein Aspekt der Zeichnungen. Denn Singelin schafft hier gleichzeitig detailfreudige Wimmelbilder, opulent und voller Originalität. Auf den vielbevölkerten, engen, metallisch kalten Raumstationen entsteht so ein menschliches Gewusel, das auf den Planeten bzw. Asteroiden von einer willkommenen und nicht minder beeindruckenden, oft einsamen Natur, abgelöst wird.

Auf den 190 Comicseiten dieses Bandes lässt sich Singelin zudem viel Zeit für die in Episoden angelegte Story, die einen längeren Zeitraum umfasst. Und er entwickelt seine Charaktere sorgfältig und ohne Hast, lässt uns an ihrem Werdegang teilhaben: Ji-Soo zeigt sich immer wieder aufmüpfig, bleibt aber ihrer verhassten Corporation treu, um ihre wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen. Alex ist – zumindest anfangs – kaum mehr als ein Lohnsklave eben jener Corporation, der für wenig Geld riskante Jobs übernehmen muss, um sein Auskommen zu sichern. Und Camina als gelernte Soldatin kehrt ihrem Job den Rücken, weil sie nach dem Verlust ihres Armes (den sie erstaunlich gelassen hinnimmt) sich einer für sie sinnvolleren Aufgabe widmen will.

Etliche Seiten lang verfolgen wir beispielsweise das Leben auf der „Energy Breaker“ und lernen die Menschen, deren Alltag und ihre Arbeit dort kennen. Später wandern wir mit Ji-Soo und Alex über den bewohnbar gemachten Asteroiden Minerva mit seiner üppigen Natur – für Alex pures Neuland. Dann gelangt nach einer dramatischen Rettungsaktion wieder eine Raumstation in den Mittelpunkt des Geschehens, die beides verbindet: Weltraum und Natur – was von der Idee irgendwie angenehm an „Silent Running“ erinnert.

Frontier, der Titel des Bandes, ein in den USA beliebter abstrakter Begriff, spielt auf die imaginäre Grenze des Machbaren an, des Möglichen, das durch den Pioniergeist immer weiter verschoben wird. Früher im Westen, bei der Erschließung Amerikas durch die Weißen, jetzt im Weltraum mit seinen unendlichen Weiten. Aber auch auf die Grenzen des Machbaren bei den Protagonisten. Können sie ihre angestammten Rollen im System tatsächlich aufgeben, hinter sich lassen, freier sein? Zugunsten neuer, selbstgewählter Aufgaben? Lässt die Soldatin ihr Söldnerdasein hinter sich, der Arbeiter seinen gefährlichen Job? Die Ingenieurin die Corporation? Aber lest selbst. (bw)

Frontier
Text & Bilder: Guillaume Singelin
200 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
39,80 Euro

ISBN: 978-3-68950-020-7

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