Der Glöckner von Notre-Dame (Splitter) | Comicleser

Der Glöckner von Notre-Dame (Splitter)

Februar 12, 2025
Der Glöckner von Notre-Dame (Splitter Verlag)

Paris im Jahre des Herren 1482: am Dreikönigstag steigt das traditionelle Narrenfest, an dem die johlende Menge den vom Schicksal gebeutelten, missgestalteten Quasimodo, der – als Findelkind einst vom Archidiakon Frollo aufgenommen – in der Kathedrale Notre Dame die Glocken zum Klingen bringt, zum Narrenpapst krönt. Dazu tanzt die betörend schöne Ägypterin Esmeralda, was nicht zuletzt den Archidiakon auf eine Art fasziniert, die seiner frommen Berufung durchaus widerspricht. In einer finsteren Gasse lauert des Abends eine düstere Gestalt nebst dem buckligen Glöckner der Holden auf, die von einem beherzt eingreifenden Offizier gerettet wird. Quasimodo wird verhaftet, während sein Auftraggeber das Weite suchen kann.

Der erfolglose Dichter Gringoire irrt einstweilen durch die Straßen von Paris und landet ungeplant in der Stadt der Diebe, wo er auf dem ironisch betitelten Hof der Wunder aufgeknüpft werden soll – aber Esmeralda zieht ihm den Hals buchstäblich aus der Schlinge und nimmt ihn bei sich zu Hause auf. Jede Hoffnung von Gringoire auf ein Stelldichein erweist sich aber als fehlgeleitet: Esmeralda schwärmt nur für ihren Retter, den Offizier der Bogenschützen namens Phoebus de Chateaupers, den sie als echten Mann unbedingt wiedersehen will. Als der unglückliche Quasimodo öffentlich am Pranger zur Schau gestellt wird, zeigt Esmeralda wieder ihr großes Herz: während Ziehvater Frollo sich peinlich berührt davonschleicht, gibt die Tänzerin als einzige der geschundenen Kreatur ein wenig Wasser.

Bei einem Fest im Hause Chateaupers kommt es tatsächlich zu einem Aufeinandertreffen von Phoebus und Esmeralda, was der Weiberheld flugs zur Verabredung eines Rendezvous nutzt. Just am Abend des geplanten Treffens ist Phoebus allerdings klamm, was sich Frollo kurzerhand zu Nutze macht: der lüsterne Archidiakon erklärt sich bereit, das Stelldichein zu finanzieren – mit der Gegenleistung, heimlich zugegen sein zu können. Als Phoebus in einer dunklen Absteige zur Tat schreiten will, geht die Eifersucht mit Frollo durch: im Affekt sticht er auf den Offizier ein und flieht vom Tatort. Esmeralda gerät in Haft und wird in einem Schauprozess der Hexerei bezichtigt, die sie im Delirium der Folter einräumt.

In der Todeszelle besucht sie Frollo, der sich vom Teufel besessen wähnt und ihr anbietet, sie zu retten, wenn sie sich ihm hingibt. Das weist die Hübsche weit von sich, weshalb Esmeralda am nächsten Tag auf dem Galgenpodest steht und entsetzt feststellen muss, dass Phoebus alles andere als tot ist, sondern sich bestens erholt mit einer neuen Gespielin das Schauspiel nicht entgehen lassen will. Das letzte Stündlich scheint geschlagen, da stürzt auf einmal Quasimodo herbei, packt Esmeralda und schleppt sie in die Kathedrale – denn in der Kirche gilt das nicht zu brechende Asyl…

In einer wunderbaren Szene der Film Noir-Hommage „Dead Men Don’t Wear Plaid“ spricht ein schwitzender Charles Laughton (natürlich per zusammengeschnippelten Filmsequenzen) mit Steve Martin, der auf die Frage „And who could I be?“ lapidar antwort: „I don’t know – the hunchback of Notre Dame?“ Diesen hatte Laughton nämlich in der gefeierten Filmversion, die Wilhelm Dieterle 1939 inszenierte, mit durchaus erschreckendem Make Up legendär zum Leben erweckt (und damit der Erbe des „Mannes der 1000 Gesichter“ Lon Chaney mehr als würdig fortführte, der den Glöckner 1925 gegeben hatte), bevor dann Anthony Quinn 1956 als buckliger Glöckner um die Gunst von Gina Lollobrigida als Esmeralda warb (deren schier endlose Beine diverse Whisky-Experten noch heute zur Verzückung bringen).

So im populären Bewusstsein verankert, liegt der Fokus der Filme damit auf einer Handlungsebene, die im Roman von Victor Hugo nur einen der zahlreichen Erzählstränge darstellt. Treffender einfach „Notre Dame de Paris. 1482“ betitelt, bietet im Roman von 1831 nämlich eher die monumentale Kathedrale das Zentralmotiv der Handlung, die den Figuren Frollo, Gringoire und Phoebus mindestens ebenso viel Platz einräumt wie dem Glöckner selbst, bevor sich am Ende alle Erzählebenen kreuzen. Das bunte Sittengemälde des mittelalterlichen Paris bietet dabei eine wilde Fahrt durch korrupte Edelmänner, lüsterne Kirchenleute und Diebe, die allesamt in die Vorgänge um die hübsche Esmeralda verwickelt sind.

Dabei sind die Charaktere durchaus differenziert gezeichnet: Frollo etwa ist nicht nur der abseitige Priester, sondern durchaus auch barmherzig und gutmütig (er versucht den Findling Quasimodo so gut zu erziehen wie möglich, und seinem Taugenichts-Bruder Jean hilft er immer wieder einmal aus). Die als „Ägypterin“ betitelte Esmeralda gehört unschwer zu erkennen zu den mit Verdächtigungen und Verfolgungen behelligten Sinti und Roma, die – in einem eher abenteuerlichen Plot Twist – am Ende doch noch ihre verloren geglaubte Mutter findet.

Mit seiner sehr werktreuen Umsetzung setzt Georges Bess nahtlos die Reihe seiner monumentalen Adaptionen von Klassikern der Weltliteratur wie „Dracula“ und „Frankenstein“ fort: großformatig, wuchtig, akribisch an der Vorlage, entfaltet Bess das mittelalterliche Panorama, in der epische Szenerien wie Ansichten der Kathedrale, das emsige Treiben auf dem Platz der Wunder und die Menschenmassen in den Straßen in wunderbarem dynamischem Schwarz-Weiß-Tuschestil zum Leben erwachen. Teilweise humoristisch, teilweise auch durchaus optisch beklemmend (vor allem in den Szenen im Folterkeller, als man Esmeralda zu ihrer Hexerei „verhört“), brilliert die Inszenierung aber dann doch rund um Quasimodo, der als lebendiger Teil der Kathedrale auf den höchsten Türmen umherspringt und – in ganzseitigen, fließenden Darstellungen – gewissermaßen eins wird mit den Glocken, die ihn schon längst sein Gehör gekostet haben.

Somit ein mehr als würdiger, monumentaler Blick auf dieses Sittengemälde, das wir doch gerne zum Anlass nehmen, uns den Dieterle-Klassiker nochmals zu Gemüte zu führen. (hb)

Der Glöckner von Notre-Dame
Text: Georges Bess, nach Victor Hugo
Bilder: Georges Bess
208 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
39,80 Euro

ISBN: 978-3-98721-400-4

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