
Gerade volljährig geworden, hat Pandora eine längere Therapie hinter sich. Von unerklärlichen Wutanfällen geplagt, die auch in hasserfüllten Augen Ausdruck fanden (daher der Titel) gilt die junge Dame nun als geheilt, auch zur Freude ihrer Eltern. Doch die währt nur kurz, denn quasi aus dem Nichts wird Pandora entführt und findet sich schließlich in der Türkei wieder. Als Bewacher stellt sich ein Monsieur Hugo vor, der der verwirrten Pandora sogleich eröffnet, dass ihr wahrer Vater sie treffen will. Der heißt Pierre Castex, ist ein international gesuchter Verbrecher und lebt in der Türkei im Untergrund. Daher die Entführung. Als es Pandora gelingt, in Ankara auszubüchsen, wird die Lage undurchschaubar: immer wieder wird sie angegriffen, die Polizei will von ihr nichts wissen und Hugo erscheint in einem anderen Licht. Und da ist ja noch Castex, der nach ihr sucht…
„Pandoras Augen“ erschien bei uns zuerst und zuletzt im Rahmen der Manara Werkausgabe bei Panini im Jahr 2017. Und zwar in Band 17 gemeinsam mit „Der goldene Esel“. Beide Geschichten wurden nun wieder als Einzelbände im Splitter Verlag veröffentlicht – in der inoffiziellen Splitternackt-Reihe mit erotischen Inhalten, in der auch schon Manaras „Gullivera“ erhältlich ist. Die Story um die junge Pandora („Wie die mit der Büchse voller Unheil“, wie sie selbst sagt) stammt von dem italienischen Autor Vincenzo Cerami, der bereits 2013 verstarb und der auch Drehbücher für Oscar-Gewinner Roberto Benigni schrieb (gute, wie „Das Leben ist schön“ und weniger gute, wie „Pinocchio“). „Pandoras Augen“ dürfte seine einzige Arbeit für die Neunte Kunst sein.
Die Thriller-Story beginnt recht konventionell und dennoch spannend mit der Entführung und der Enthüllung über Pandoras leiblichen Vater. Sie das behütete, aber nicht ohne Probleme aufgewachsene hübsche Mädchen, er der gesuchte und offenbar brutale Verbrecher, der auch über sein Exil hart regiert und dem echte Vatergefühle kaum abzunehmen sind. Die seitenlange, mit wenig Dialog geschilderte Flucht degradiert Pandora dann zum Objekt der Begierde für diverse lüsterne Unholde. Bis Hugo schließlich etwa ab der Mitte des Bandes für einen Twist sorgt, der der Story dann wieder einen anderen Blickwinkel verleiht und diese in eine neue Richtung lenkt.
Der Band ist schon fast untypisch für Manara. Er zeigt kaum Nacktheit (freilich lässt er seine Akteurin im knappen Kleidchen agieren, inkl. aufreizender Posen – irgendwie muss Manara ja sein Image pflegen), dafür viel Story und Action, was offenbar dem Skript von Cerami geschuldet ist. Die Charaktere könnten besser ausgearbeitet und weniger stereotyp sein, vieles fühlt sich an wie eine Fingerübung. Die Zeichnungen sind noch im klassischen Manara-Stil gehalten (der Band entstand 2007) – aktuell arbeitet der italienische Meister mit Direktkolorierung, wie zuletzt bei „Caravaggio“ und seiner Adaption von „Der Name der Rose“ (kommt auch auf Deutsch) zu bewundern. Als Bonus bietet der Band noch zwei Kurzgeschichten und einen wunderbaren Kunstdruck. (bw)
Pandoras Augen
Text & Story: Vincenzo Cerami
Bilder: Milo Manara
72 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
22 Euro
ISBN: 978-3-98721-462-2