Glorreich sind sie nicht gerade, die Sieben, die diesen Höllentrip bestreiten müssen: Justin, ein Dealer, dessen Mutter nur zu Hause sitzt und Serien glotzt. Tanya, eine erfolglose Musikerin und „Kundin“ von Justin. Bob ist notorisch klamm und wettsüchtig. Und dessen Frau Vickie ist unheilbar an Lungenkrebs erkrankt. Gary, ein unfreundlicher Geselle, der sich als Parkwächter verdingt. Amanda, die im Krankenhaus arbeitet und ihr Sohn Isaac. Und Felix, ein älterer, vermeintlich harmloser Herr und ehemaliger Privatdetektiv, der immer wieder mit dem aufbrausenden Gary aneinander gerät. Sie alle leben ihr Leben in einem Mietshaus. Ein kalter, karger, eben zweckdienlicher Quader, der irgendwo in Toronto steht.
Dann wird mit einem Male alles anders. Felix stirbt plötzlich, nicht ohne Isaac einen mysteriösen Schlüssel zu überlassen. Die anderen sind in ihrer Etage gefangen, der Aufzug funktioniert nicht. Nur Isaacs Schlüssel öffnet eine Tür zu einem Gang nach unten, eine schier endlose Treppe und der vermeintlich einzige Ausweg. Also machen sie sich an den Abstieg, Etage für Etage, den Dante’schen Höllenkreisen gleich. Die noch abstrakten Bedrohungen und Geschehnisse werden immer drastischer, wobei der Weg mit diversen Überraschungen gesäumt ist (kleiner Spoiler: Felix ist nicht tot). Bis schließlich tief unten das Ziel und der Endgegner offenbart werden. Aber da scheint es für die Sieben schon zu spät zu sein…
The Old Dark Mietshaus? Viel mehr als eine Schauermär. Im dritten und umfangreichsten Beitrag zu ihrem „Bone Orchard Mythos“ tischen uns Jeff Lemire und Andrea Sorrentino sowohl inhaltlich als auch visuell eine wahrhaft apokalyptische, im wahrsten Sinne höllische Tour de Force auf, wobei die Idee hinter dem Mythos erstmals Formen annimmt. Es gibt also Erklärungen und Andeutungen, worauf das große Ganze hinaus will. Dabei erkennen wir nun auch Parallelen zu den ersten beiden Bone Orchard Teilen „Die Passage“ und „Zehntausend schwarze Federn“ (die Bände können auch unabhängig voneinander gelesen werden). Wieder geht es nach unten, in eine bedrohliche, unbenamte Sphäre, in eine Finsternis, die auch erstaunlich bunt sein kann.
Die Zahl sieben spielt dabei eine große Rolle. Es sind immer sieben, die aus der siebten Etage unterwegs nach unten sind. Felix wohnt in Apartment 77 und Bob wettet auf Pferd Nummer sieben. Und dann gibt es noch andere „Sieben“ und damit sind nicht die Bewohner gemeint… Ständig sehen sich unsere Protagonisten mit unbekanntem, surrealem Horror konfrontiert. Dabei werden sie ganz Genre typisch immer wieder voneinander getrennt, nur um sich wieder zu finden, stets in einer irrealen Atmosphäre, gepaart mit der Angst vor dem Unbekannten, das freilich nichts Gutes verheißt.
Lemires Horror-Stammzeichner Andrea Sorrentino, der auch schon „Gideon Falls“ gestaltete, hält sich hier mit seinen charakteristischen und ungewöhnlichen Panel-Kompositionen und –Konstruktionen immer wieder etwas zurück, nur um dann genau jene originell einzusetzen, eben wenn es markante Umwälzungen oder Veränderungen in der Story gibt. Später glänzt und verblüfft er auch wieder mit verschiedenen Zeichenstilen und beweist so seine Wandlungsfähigkeit. Damit lassen er und Lemire – natürlich wieder gemeinsam mit Kolorist Dave Stewart – eine krasse, visuell überbordende, Lovecraft’sche Horror-Reise entstehen, sogar mit religiösem Touch – als bisher besten und intensivsten Beitrag zu ihrem „Bone Orchard Mythos“. (bw)
Das Mietshaus (Bone Orchard Mythos)
Text & Story: Jeff Lemire
Bilder: Andrea Sorrentino, Dave Stewart (Farben)
328 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
39,80 Euro
ISBN: 978-3-98721-155-3