China Li (Splitter)

September 18, 2024
China Li (Splitter Verlag)

Shanghai, die Metropole am Ostchinesischen Meer, in den 1920er Jahren. Die junge Li, nicht mehr als zehn, zwölf Jahre alt, kommt in die Stadt. Sie muss hierher, denn ihr Bruder hatte sie beim Spiel verloren. Nun gehört sie einem neuen Herrn. Der heißt Zhang Xi Shun, ist ein Eunuch und der harte wie angesehene, mächtige Chef der Triade namens Grüne Bande. Die kontrolliert den Opiumhandel in der Stadt, wie auch das Glücksspiel und die Prostitution. Shanghai ist ein Schmelztiegel, in dem auch westliche Nationen um Einfluss ringen. Li wird von ihrem neuen Herrn erst beachtet, als er ihr Kunstinteresse und damit ihre Bildung erkennt. Fortan steht sie unter seinem Schutz und wächst zur jungen Frau heran. Die gewinnt nach und nach das Vertrauen des „ehrenwerten Zhang“ und nachdem sie sein Leben rettet, darf sie ihn sogar Vater nennen.

Ein wahrlich erfülltes Leben, v.a. die erste Hälfte davon, voller Gefahren und tragischer Ereignisse. Nachdem sie in Zhang einen Vaterfigur gefunden hat, den sie verehrt, wird sie von ihm nach Paris in Sicherheit gebracht. Dort lernt sie das Leben der Bohème kennen, verkehrt im Künstlermilieu und verliebt sich in den mittellosen Maler Antoine. Von ihm wird sie schwanger, als sie nach Shanghai zu Zhang zurückkehren will und muss. Naben Lis Leben verfolgen wir auch jenes von Zhang, der von einem brutalen Vater geschlagen und später als Eunuch in die Verbotene Stadt nach Peking „verkauft“ wird. Dort erweist er sich als clever, lernt viel, flieht schließlich und schlägt einen Weg ein, der ihn später zum mächtigen Kopf einer Triade werden lässt, die praktisch den kompletten chinesischen Opiumhandel kontrolliert.

Eingebettet ist die Story um Li und Zhang in ein mindestens turbulentes, meist aber grausames historisches Umfeld: die Besetzung durch die japanische Armee und der Bürgerkrieg in China (1927 bis 1949), der Kampf der Nationalisten um Chiang Kai-shek gegen die Kommunisten um Mao. Beide trifft Li, letzteren als angehende Foto-Reporterin. Beide werden nicht gerade als Sympathieträger, sondern eher als rücksichtslose Machtmenschen skizziert. Li macht unfreiwillig den Langen Marsch mit, der zehntausende Opfer fordert und erlebt hautnah die Invasion der Japaner in Nanjing und die damit einhergehende, unerträgliche Gewalt mit Massakern an der Bevölkerung. So wird sie zu einer einer Art unfreiwilligen Chronistin der jüngeren Geschichte Chinas.

Hauptfigur ist Li, deren Leben wir verfolgen, die nach dem gleichnamigen Fluss benannt ist. Li wird als selbstbewusste gebildete Frau gezeigt, mit einem durchaus ambivalenten Charakter, die sich dennoch immer wieder unterordnen muss – und weiß. Sei es Männern – freiwillig bei Zhang, zu dem sie ein väterliches warmherziges Verhältnis pflegt, oder unfreiwillig den Japanern, die sie misshandeln – oder der politischen Ordnung, eben als sie zum Langen Marsch gezwungen wird. Später erweist sie sich als harte wie clevere Geschäftsfrau, mit einer klaffenden, unheilbaren seelischen Wunde – dem Verlust ihres Sohnes, den sie als Baby weggeben musste und der ohne sie aufwachsen muss.

Neben dem chinesischen Bürgerkrieg und der Besatzung durch die Japaner werden auch andere historische Ereignisse in die Story eingebunden (wie die Versenkung der USS Panay durch japanische Bomber), was der Authentizität der Schilderung von Lis Leben weiter förderlich ist. Auch spielen andere historische Personen Nebenrollen, wie beispielsweise John Rabe, der „gute Deutsche von Nanjing“ oder der Journalist Edgar Snow. Überraschungen oder Twists gibt es kaum, das klassische Erzähltempo fließt gleichmäßig – fast dokumentarisch werden einzelne Episoden geschildert und beschrieben, v.a. im späteren Verlauf von Lis Leben. Ein unschlagbarer Trumpf des Bandes, der alle vier im Original bei Casterman erschienenen Einzelalben beinhaltet, sind natürlich wieder die wunderbaren, direkt kolorierten Zeichnungen von Jean-François Charles (u.a. „India Dreams“), die immer wieder in eingestreuten, ganzseitigen Gemälde-gleichen Bildern beispielsweise die beeindruckenden Landschaften Chinas oder spektakuläre Stadtansichten einfangen. Ein monumentaler Band, nicht nur in seinem Umfang. Und jeden Cent wert. (bw)

China Li
Text & Story: Jean-François Charles, Marlyse Charles
Bilder: Jean-François Charles
264 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
45 Euro

ISBN: 978-3-98721-379-3

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